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Herr der Finsternis

Herr der Finsternis

Titel: Herr der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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zurück und sah, daß das Schiff zwar völlig zerstört, das Langboot darauf jedoch noch unversehrt war.
    Wir waren jedoch dreißig oder vierzig Mann, und das Langboot würde vielleicht ein Dutzend aufnehmen können, und wir waren noch einige Meilen vom Ufer entfernt. Ich schickte mich an, einige Männer zum Sammeln von Holz für Flöße anzuhalten, als ich über eine Gestalt stolperte, die stöhnend auf den Felsen lag: zweifellos ein Seemann, der beim Auflaufen aus dem Schiff geschleudert worden war. Als ich in der Dunkelheit, an die sich meine Augen nun ein wenig gewöhnten, nach ihm griff, überspülte uns beide eine Welle, und er begann davonzutreiben, und einen Augenblick später wäre er in der Nacht verloren gewesen. Obwohl ich dadurch mein eigenes Leben aufs Spiel setzte, glitt ich ins Wasser, schwamm ihm nach, was durch meine schweren Stiefel äußerst mühselig war, faßte ihn an einem Bein und zog ihn in meinen Armen zu den Felsen zurück. Ein neuerlicher Blitz flammte auf und verriet mir, daß ich Pinto Cabral gerettet hatte, was mich mit Freude erfüllte, da Cabral ein guter Mensch war. Genausogut hätte es Caldeira de Rodrigues sein können, für den ich mein Leben aufs Spiel gesetzt hatte, und ich war kein so guter Christ, daß ich dies von mir aus getan hätte.
    »Das Schiff ist in Gefahr«, murmelte Cabral, der nun, da er Luft statt Wasser atmete, zu sich kam.
    »Das Schiff ist völlig zerstört«, sagte ich. »Doch das Boot hat es überstanden. Komm, leg deinen Arm um meine Schulter.« Und auf den scharfen, rauhen, schlammbedeckten Felsen rutschend und gleitend fanden wir den Weg zu den Planken des Decks. Allmählich setzte die Morgendämmerung ein. Ich sah, wie einige Männer versuchten, das Boot ins Wasser zu lassen, und sich andere herumscharten und stritten, um einen Platz darauf zu ergattern. Von Faleiro war nichts zu sehen, wodurch ich als Lotse das Kommando hatte. Sogleich stürmte ich zu denen, die miteinander stritten, und rief: »Seid ihr verrückt geworden? Wenn ihr alle das Boot besteigt, wird es sinken, und ihr alle mit ihm! Reißt euch zusammen, laßt uns nachdenken. Im Augenblick sind wir hier in Sicherheit.«
    Und dennoch kämpften sie weiterhin wie die tollwütigen Wölfe, um ins Boot zu steigen. Ich packte einen nach dem anderen von ihnen, schleuderte sie zurück und brüllte sie an, wieder zu Sinnen zu kommen, und mir wurden einige harte Schläge versetzt, als ich darum kämpfte, daß sie am Leben blieben. Doch dann erschien Faleiro, mit einer großen, blutigen Rißwunde auf der Stirn, und stellte sich neben mich, und gemeinsam gelang es uns, Ordnung zu schaffen.
    Obwohl der Wind noch immer heulte und das Meer wie ein gieriges Untier wütete, bewahrten wir die Ruhe und verschafften uns einen Überblick über unsere Lage. Es hatte den Anschein, daß etwa acht oder neun Mann tot waren: Einige waren beim Auflaufen des Schiffes umgekommen, das auf traurigste Art festgerammt und zerschmettert auf den Klippen lag, andere waren herausgeschleudert worden wie Cabral und in die Nacht davongetragen, bevor man ihnen helfen konnte. Die anderen klammerten sich an die Seiten des Bootes, und wir warteten auf den Morgen. Die Wellen brachen sehr heftig über das Riff und fielen sofort mit großer Gewalt nach Südosten ab, in die Richtung, in die das Meer zu strömen schien.
    In den letzten Stunden der Dunkelheit gab es viele Tränen und Zeichen der Bußfertigkeit und des Bereuens der Sünden. Ich hörte ihre Litaneien und Rituale und bat um Gottes Gnade, was ich allerdings in meiner englischen Sprache tat. Einige hielten Kruzifixe hoch oder Bilder der Jungfrau und baten sie unter vielen Tränen, ihre Seelen zu retten, da sie glaubten, ihr Leben sei verwirkt.
    Doch beim ersten Licht sahen wir, daß es noch Hoffnung gab. Wir fanden die Schiffstaue, und aus den Planken des Decks setzten wir mehrere kleine Flöße zusammen, eine Aufgabe, die weniger Zeit in Anspruch nahm, als ich gedacht hatte. Nun hatte sich der Sturm gelegt, und der Tag war heiß und schön. Schade nur, daß das Schiff aufgerissen war und einige der riesigen Elephanto-Zähne wie Streichhölzer über die Klippen verstreut lagen und auch unsere schönen Stoffe und anderen guten Handelswaren; und der Rest der Fracht war im Wasser und konnte nicht mehr geborgen werden. Doch die meisten von uns lebten noch, und dafür dankten wir Gott.
    Als die Flöße gebaut waren, sah Faleiro mich an und sagte: »Nun, Piloto, kannst du uns ans Ufer

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