Herr der Moore
»Er entband Neil und hatte somit auch beim Tod seiner Mutter die Hände im Spiel, denn sie starb an den Folgen der Geburt. Ein fähiger Arzt hätte sie vermutlich gerettet, aber nicht Campbell. Dieser Mann war ein Stümper und ist es, wie gesagt, immer noch.«
»Weshalb meinen Sie zu wissen, ihm sei etwas zugestoßen?« Schon beim Aussprechen dieser Worte fiel Grady wieder ein, was Donald Newman im Bürgerhaus gesagt hatte: Dafür bekam ich dann Doktor Campbells Flachmann. Was außer einem groben Missgeschick könnte Campbell um seinen geheiligten Besitz beziehungsweise das Elixier darin gebracht haben? Was Mansfield als Nächstes sagte, brachte den Bediensteten von seinen Gedanken ab.
»Weil ich sie fühle, Grady. Es ist fast so, als sähe ich durch ihre Augen, und wenn ich eines sagen kann, dann …« Er beugte sich nach vorn, kniff die Augen zusammen und verlieh jedem einzelnen Wort Nachdruck, indem er mit spindeldürrem Zeigefinger in der Luft stocherte. »… dass Brent Prior hinfällig ist. Lassen Sie diese Nacht vorbeigehen, und nicht einmal Echos werden noch von diesem Ort künden.«
Grady räusperte sich für tausend Fragen, die sich ihm aufdrängten. Letztlich stellte er die offensichtliche: »Was wird geschehen?«
Jack Mansfield sah mit einem Mal erschöpft aus, also lehnte er sich wieder zurück. »Sie haben jenen Tag nicht vergessen, oder?«
»Wie hätte ich das können? Über so etwas kommt man nicht einfach hinweg.«
»Eine einzige Person war für Sylvia Callows Tod verantwortlich. Sie wissen es, nicht wahr?«
Grady wusste vor allem, dass ihm die Richtung nicht gefiel, welche die Unterhaltung nahm, also weigerte er sich, darauf einzugehen. »Niemand anders als ihr Ehemann, Sir.«
Mansfield schien dies zu belustigen. »Was Sie nicht sagen? Ihrer Logik zufolge wäre ich also auch unschuldig, was den Tod meiner eigenen Frau betrifft.«
»Warum bringen Sie das jetzt zur Sprache?«
»Weil es zur Sprache kommen muss . Wenn sich Ihnen die Verbindung nicht erschließt, besitzen Sie nicht den Verstand, für den ich Sie stets geschätzt habe. Ich verliebte mich in Sylvia, und ihr Gatte brachte sie um, zweifellos als er Wind von unserer Affäre bekam. Ich war fassungslos, als Campbell ein Kind aus ihrem Bauch schnitt, bevor sie erkaltete. Ich forderte es als mein eigenes ein, in der Hoffnung, so Abbitte für einen Tod leisten zu können, den ich sehr wahrscheinlich mit verursachte. Frohen Mutes trotz meiner schweren Verletzungen brachte ich es in derselben Nacht nach Hause, auch weil ich neue Wärme in unsere schal gewordene Ehe bringen wollte. Ich fand meine Frau im Schuppen; sie hatte sich erhängt, weil sie es wusste, verstehen Sie? Dass ich fremdging, musste ihr aufgefallen sein, als sie die anderen aus dem Dorf nach der Jagd begleitete, um Callows Anwesen niederzubrennen. Die Trauer um Sylvia war mir wohl anzusehen. Ich verlor beide Frauen an jenem Tag. Wem also, bester Grady, möchten Sie die Schuld für ihren Tode zuschieben, wenn nicht mir?« Er winkte angewidert ab. »Das Virus war noch nicht Strafe genug.«
Die Worte evozierten Erinnerungen in Grady, und damit einher gingen Gewissensbisse – wie Mansfield damals ausgeschaut, und wie erschüttert er gewesen war, als er Grady um Hilfe gebeten hatte, die Leiche von dem Strick zu schneiden. Unterdessen war er nicht müde gewesen, den Diener zum ewigen Stillschweigen vor seinen Kindern anzuhalten. Sie soll in ihrem Bett gestorben, einer plötzlichen Krankheit erlegen sein. Bitte Gott, nicht so, nicht auf diese Weise … Grady war die folgenden Monate damit beschäftigt gewesen, die Schicksalsnacht aus seinem Gedächtnis zu tilgen, doch das Bild von Helen, die mit blutroten Augen an dem alten Seil gehangen hatte, suchte ihn auch weiterhin heim. Für Mansfield allerdings schien es noch schlimmer zu sein.
»Aus Ihrem Leben habe ich mich stets herausgehalten, Sir«, sagte er, »und was sich ereignete, ist überaus bedauerlich, aber nicht Ihr Fehler. Man kann sich in der Rolle des Missetäters suhlen, doch ich würde nicht im Traum daran denken, sie Ihnen zuzumessen. Sie trafen manch fragwürdige Entscheidung, sicher, aber nennen Sie mir einen Menschen, der das nicht getan hat.«
Der Hausherr leerte sein Glas und hielt es Grady vor. »Noch einen, bitte, gegen die Kälte.«
Grady nickte und ging zur Karaffe, während er im Geiste bei Neil war, der bestimmt durch den Sturm taumelte und sich fragte, warum ihm niemand zu Hilfe kam. Er zitterte, als er
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