Herr der Nacht
sie zu verschlingen drohte. Sie warf sich vom Bett und umklammerte das nutzlose Amulett. Im Dunkel bewegte sich ihr Geliebter, und seine Stimme hatte sich verändert.
»Das ist das dritte Mal, daß du mich abgewehrt hast. Errätst du, wen du zurückweist?«
»Einen Dämon.«
Der Mond erfüllte das Zimmer mit einem weißen Schein. Bisuneh sah Asrharn vor sich stehen. Sie verbarg ihr Gesicht vor seiner Schönheit und seinem steinernen Blick. Sie hatte ihren Reiz für ihn verloren. Sie langweilte ihn. Es blieb nur noch übrig, sie in der Art der Dämonen auszulöschen: die schalen Reste eines Festschmauses, die aufzusammeln unter seiner Würde war.
»Honig-Süß«, sagte Asrharn, »deine Tage werden bitter sein, hiernach.«
Sie sah nicht, wohin er ging, aber er war verschwunden.
Bisuneh fiel ohnmächtig zu Boden.
*
Bisuneh wurde bleich und schweigsam. Sie erzählte niemandem von ihrer Prophezeiung. Sie ging oft zum Tempel, um zu beten. Aber die Zeit verstrich ohne Gewalttätigkeit oder neue Drohung. Sie begann wieder zu glauben, daß sie alles nur geträumt hätte. Bräute waren in den letzten Tagen vor ihrer Vermählung häufig die Opfer solcher Einbildungen, hatte man ihr erzählt. Bisuneh rief sich die Prophezeiung der Wahrsagerin ins Gedächtnis: Ein glückliches, hohes Alter, außer wenn – was unmöglich war – die Sonne im Osten unterginge.
Der Tag der Hochzeit kam, die Abenddämmerung fiel herab, es gab einen Fackelzug, Blumen wurden gestreut. Der Sohn eines Gelehrten und die Tochter eines anderen wurden vereint und zum Festmahl im Hause des Vaters des Jungen getragen, wo man ihnen ein Hochzeitsgemach bereitet hatte.
Viele Geschenke waren eingetroffen; zwei Silbervasen, zwölf Trinkbecher aus feinstem Porzellan, eine große geschnitzte Truhe aus Zedernholz, süßer, gelber Wein aus einem ausgezeichneten Keller, in einem Topf ein Damaszener Pflaumenbaum, der im nächsten Jahr Früchte tragen würde, ein Spiegel aus polierter Bronze. Aber ein Geschenk konnte sich niemand erklären. Und obwohl es außerordentlich schön und offensichtlich von ungeheurem Wert war, wollte niemand zugeben, es geschickt zu haben. Der Vater des Bräutigams hatte es in der Eingangshalle seines Hauses gefunden, als er im Morgengrauen aufgestanden war: ein riesiger Wandteppich, eine Abendszene mit Wäldern und Wasserfällen, sehr lebensecht, in hundert verschiedenen Abstufungen von wunderbar gefärbten Garnen. Der Vater, der ihn als Überraschung für seinen Sohn und seine Schwiegertochter aufbewahren wollte, hatte bei Sonnenuntergang eine Eingebung, derzufolge er ihn in dem Zimmer, in dem sie ihre Hochzeitsnacht verbringen sollten, an die graubraune Wand hängte, in der sich kein Fenster befand; und der Teppich ließ den Raum sehr prächtig erscheinen.
Schon bald verließ die Braut die Festtafel, und der Bräutigam folgte ohne langes Zögern. Gute Wünsche und die üblichen Scherze begleiteten sie. Sie schlossen die Tür, die zwei Liebenden, nachdem sie aus Höflichkeit und Dankbarkeit einen Blick auf all die Reichtümer geworfen hatten: die Schale mit purpurnen Trauben, den Krug mit Wein, die bestickten Kissen, den wundervoll schimmernden Teppich an der Wand … Die Lampe brannte niedrig, sie sahen kaum etwas, und außerdem hatten sie nur Augen füreinander.
Sie legten sich nieder in Leidenschaft und vergaßen alles andere.
Mitternacht kam und ging. Unten verabschiedeten sich die meisten Hochzeitsgäste. In den Straßen der Stadt wurde es in den letzten Stunden vor Sonnenaufgang allmählich ganz ruhig. Hie und da strich eine Katze entlang, tippelte ein Hund, hie und da schlich ein Räuber umher, und eine Gruppe junger Mädchen mit verwelkten Hyazinthen im Haar, die ihre Körper für ein paar Geldstücke beim Bankett eines reichen Herrn verkauft hatten, gingen traurig Arm in Arm heimwärts zu ihren elenden Hütten. Und noch etwas war da draußen, etwas, das man nicht klar sehen konnte. Es drückte sich in den Schatten der Hausmauer, wo das neuvermählte Paar schlief, kletterte zum oberen Stockwerk empor. Ein Fenster war nur angelehnt. Die fremdartige Nachtgestalt hielt inne und spähte hinein. Es war ein kleiner Zwerg. Er trug etwas über dem Arm.
Ein Drin. Asrharns Bote, da dies Werk zu grob und häßlich war für einen Eschva. Und über dem Arm des Drin hing ein Flickengebilde wie die schlaffe Haut eines Tieres, doch falsch zusammengesetzt, teils borstig, teils mit dem stumpfen Glanz von Schuppen, teils mit verfilzten
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