Herr der Nacht
Bäche in den Höhlen, in die er sich verkroch, um der Mittagshitze zu entfliehen. Durch diese eintönige, spärliche Kost war er völlig abgemagert. Sein Haar war jetzt mehr grau als blond und seine Augen riesig und wild. Sein Herz war bleischwer, er konnte nicht verstehen, was seinen Kummer verursachte, und hatte vergessen, womit er begonnen hatte. In manchen Nächten heulte er unter den kalten Sternen vor Qual, und selbst der Wolf verstummte in ehrfürchtigem Unbehagen vor seinen Schreien.
Es kam eine Nacht wie jede andere, ebenholzfarben und von den silbernen Schweißperlen der Sterne erhellt. Als der Mond aufging, kam in seinem Schein ein Mann über die Einöde. Sein Umhang war schwarz, doch sein Haar war schwärzer. Schwärzer noch als beide waren seine Augen.
Dresaem hatte keinen Begriff mehr von den Menschen, außer als Feinde, die er bekämpfen und erschlagen mußte. Er sprang knurrend auf. Aber der schwarzhaarige Mann löste sich in Rauch auf, der näherkam und den Jüngling einhüllte. Das wilde Tier in ihm entwich bei der Berührung durch den Rauch. Die Augenlider fielen herab, und die Mordlust in ihm schlief.
»Von nun an«, sagte der schwarzäugige Mann, der schön wie die Nacht an der Seite des Jünglings stand, »sollst du mein Sohn sein, und ich werde dich wieder froh machen. Denn du hast zu lange wie der Schakal in den Einöden gelebt, mein Kind.«
Dresaem hob den Kopf. Seine Augen trafen die Augen des Fremden. Durch all die Schichten der Verwirrung und des Nebels, die seine Wahrnehmung trübten, drangen die Augen des unbekannten Mannes wie zwei schwarze, flammende Lichter.
»Sieh dorthin«, sagte Asrharn, der Prinz der Dämonen, und zeigte auf einen riesengroßen, formlosen Granithaufen, der etwa eine Meile entfernt lag. Dresaem schaute.
Die Nacht erschauerte. Jeder Stein der Einöde hallte wider wie zum Akkord einer riesigen Harfe, und der Granithaufen hatte sich verwandelt. Ein Palast stand jetzt dort, ein Wunder aus schwarzglänzendem Kristall und poliertem Jett mit Türmen aus Silber, Dächern aus Kupfer und türkisfarbenen und karmesinroten Fenstern, aus denen das Licht von Leuchtern fiel. Davor lagen Gärten mit dunklem, samtigem Moos, Straßen, die mit Juwelen gepflastert waren, schwarze Bäume in allen möglichen Fantasieformen, Lavendelfontänen und purpurne Teiche. Künstliche Nachtigallen sangen mit unaufhörlicher Süße in den Lauben, blau- und grüngefleckte, schwarze, künstliche Pfauen mit Augen in ihren Rädern, die wirklich sehen konnten, patrouillierten auf den Rasen.
»Du bist in meiner Obhut, Dresaem«, sagte Asrharn. »Du wirst nachts leben wie der Mond. Aber nichts soll dir fehlen. Diesen Palast schenke ich dir.«
Asrharn führte den jungen Mann durch die Gärten in den Palast. Ein Bankett war bereits vorbereitet und aufgetragen. Dresaem brauchte keine Ermunterung, um sich vollzustopfen, wie er es im Palast des Königs getan hatte. Vielleicht bemerkte er, daß dies sogar noch besser war. Als Dresaem satt war, sagte Asrharn: »Es gibt eine letzte Sache, nach der du verlangst. Ich will dich daran erinnern. Ein Mädchen mit Silberaugen und Schlüsselblumenhaar: selbst das habe ich nicht ausgelassen.«
Dann ergriff Asrharn einen Wasserkrug aus Alabaster. Er öffnete den Deckel und sprach bestimmte Worte und hielt den Krug mit der Öffnung nach unten in die Luft. Was herausfloß war eine Wolke und ein Glühen und ein Duft, und diese Dinge ergaben eine prachtvolle Frau.
Es war nicht Schesael, wahrlich nicht. Es lag nicht in Asrharns Absicht, daß die Seele, die er geteilt hatte, in irgendeiner Form sich wieder vereinigen sollte. Dämonischer Rache haftete die Gewohnheit an, daß ein Sport daraus wurde. Asrharn hatte in einem Zauberspiegel in der Unterwelt gesehen, wie Bisuneh sich in ihren armseligen Tempel verkroch und hatte seine Augen auf die halb beseelte Tochter geheftet. Dabei entdeckte er, daß unheimliche, blinde Kräfte am Werk waren, die ihre Erlösung erstrebten. Von Sporteifer besessen hatte Asrharn sich aufgemacht, diese Kräfte zu vereiteln.
Die Frau, die aus dem Alabasterkrug geflossen war, war eine der Eschva. Ihre Gestalt war überraschend schön; sie war ebenfalls ein Teil von Asrharns Spiel. Wie bei allen Dämonen waren ihre Augen schwarz, nicht silbern, aber die Augenlider waren mit Silber angemalt und funkelten von Silber. Und wie bei allen Dämonen war auch ihr Haar schwarz, aber in diesen schwarzen Haaren befanden sich Unmengen von Blumen, keine
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