Herr der zwei Welten
hier. Und sicher gibt es auch wieder einen Weg nach Hause.“
*
Schon seit Tagen konnte Tina nicht mehr schlafen. Es war bereits über zwei Wochen her, seit sie zum letzten Mal gewusst hatte, wo sich ihre Schwester aufhielt. Sie machte sich immer größere Sorgen. Nahezu alle Freunde und Bekannte von ihr hatte sie schon abgeklappert. Selbst Ilonka konnte ihr nicht mehr sagen, als Tina auch so schon wusste. Nämlich dass Julie schon lange keinen Kontakt zu Eugeñio mehr gehabt hatte, weil er zurück in seine Heimat gegangen war. Also stimmte es wohl, was der Spanier ihr gesagt hatte; auch er wusste nicht, wo Julie war. Julie … wo war sie nur? Es sah ihr so gar nicht ähnlich, einfach so still und heimlich zu verschwinden! Tina hatte auch mit ihrem Chef geredet. Aber der hatte ihr nur gesagt, dass Julie einen wichtigen Auftrag nicht ausgeführt hatte und dieser dadurch wohl geplatzt war, denn die potenziellen Käufer hatten sich nie wieder bei ihm gemeldet.
„Es ist sehr schade um Fräulein Neumann.“ hatte er gesagt.“ Sie war schon weit nach oben gekommen und ihrer Karriere stand so gut wie nichts mehr im Weg.“
Das war alles gewesen, dass Tina von ihm zu hören bekommen hatte. Auch die Polizei hatte nichts herausbringen können. Oder es gar nicht gewollt. Tina knirschte mit den Zähnen, als sie daran dachte, wie man bei den Behörden auf ihre Vermisstenanzeige reagiert hatte. Man hatte sie dort nur mitleidig angesehen und ihr zu verstehen gegeben, dass sie sich keine Sorgen machen sollte. Julie sei ja schließlich eine erwachsene Frau, die, gerade wenn sie Liebeskummer hatte, vermutlich nur mal eine Zeit allein sein wollte. Tina war allein mit ihrem Kummer. Selbst ihr Mann hatte schon bemerkt, dass die Polizisten vermutlich sogar recht hatten, und Julie nur Abstand brauchte. Abstand zu ihr! Das hatte er gemeint, auch wenn er das natürlich nicht gesagt hatte. Sie wusste es trotzdem! Aber vielleicht hatte er sogar recht?! Vielleicht war ihre ewige Sorge Julie gewaltig auf die Nerven gegangen. Aber hätte sie deshalb einen wichtigen Auftrag platzen lassen? Wohl kaum!
„He, denkst du schon wieder an Julie?“ Detlef war hinter sie getreten, ohne dass sie ihn gehört hatte.
Erschrocken fuhr sie herum.
„Du bist schon zurück? Das war aber ein kurzes Gassigehen!“
Sissi sprang auf ihren Schoß und beleckte ihre Hände. Das tat sie immer, wenn sie spürte, dass Tina traurig war. Und das war in letzter Zeit beinahe ständig. Tina streichelte das weiche Fell des Japan Chins. Auch Detlef setzte sich zu ihr und zog sie tröstend in seine Arme.
„Kopf hoch, ja?! Glaube mir, sie wird schon wieder auftauchen.“
Tina nickte nur stumm. Aber die Angst saß zu tief.
*
Ruhelos durchstreifte er die alte Stadt. Es war bald Mitternacht und er hatte noch nichts zu sich genommen. Aber noch stand die Zeit auf seiner Seite. Er war so alt, er konnte sich die Zeit für seine Jagd selbst aussuchen. Eugeñio hatte beschlossen, nicht mehr in Bayern zu jagen. Das wäre zu gefährlich, jetzt, wo die Polizei eingeschaltet war. Zwar war noch niemand bei ihm aufgetaucht, aber das konnte sich schließlich noch ändern. Außerdem wollte er nicht, dass eine durch Zufall gefundene Leiche die Polizei von der Suche nach Julie ablenkte. So hatte er sich nach Prag abgeseilt. Dort war er ungestört. Ungestört bei der Jagd und ungestört in seinen Gedanken, die doch meist um Julie kreisten. Noch immer hatte er keine Ahnung, wo sie war. Das Einzige, das er wusste, war, dass sie noch lebte! Er dachte an Gaston. Lange war es her, dass sie sich gesehen hatten. Als Eugeñio sich nach Spanien abgeseilt hatte, hatte auch er Deutschland verlassen. Aber jetzt war er hier! Hier, in Prag. Eugeñio wusste, dass er ihn bald besuchen würde.
Doch nun wurden seine Gedanken abgelenkt. Zwei junge Frauen liefen über den alten Parkplatz. Sie hatten ihr Auto abgestellt, ein klappriger VW-Golf und steuerten auf die alte Schenke zu, die sich am Ende der Straße befand. Hier war die Stadt alt und kaputt. Überall standen Häuser die mehr Ruinen glichen als anständigen Wohnhäusern. Dennoch … auch hier wimmelte Prag von Leben. Er hörte die Menschen lachen. Dann …
Ihr Herzschlag zog ihn an. Ihr Blut- er konnte es bereits riechen. Der Vampir erwachte! Er schritt auf die Mädchen zu. In seinen Augen stand der Befehl, dem sich niemand wiedersetzten konnte. Seine Lippen zuckten, seine Zunge wurde trocken. Begierig ihr Blut zu schmecken. Die Mädchen
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