Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)
mir beliebt. Ihr werdet nicht so dumm sein, mich hintergehen zu wollen.« Er schob Keliator an den Ghoulen vorbei. »Außerdem«, grinste er, »dürft Ihr dieses bescheidene Präsent als Zeichen meiner Zuneigung und Samen unseres gegenseitigen Vertrauens begreifen.«
Brens Schlaf war traumlos. »Wie spät ist es?«, fragte er den Seelenbrecher, als er erwachte und sich in dem weichen, von einem Baldachin überspannten Bett aufrichtete. Die Decken lagen so glatt, als hätte eine Zofe sie soeben geordnet. Osadroi wurden zu reglosen Leichen, wenn sie ruhten.
»Die Sonne ist soeben untergegangen, Herr.« Der junge Mann mochte zwanzig Jahre zählen, sein Name war Bren unbekannt. Er interessierte ihn auch nicht. Für die unteren Ränge des Kults war es eine Ehre, einem Schattenherrn nach dem Erwachen die ersten Wünsche der Nacht zu erfüllen. Manche sehnten sich danach, ihre eigene Essenz anzubieten, um die während des Tagschlafs erlahmten Kräfte aufzufrischen. Dieser hier präsentierte stattdessen einen Kristall, den er mit komplizierter Geste auf allen zehn Fingerspitzen hielt. Silbriges Glitzern bewegte sich darin. »Dürstet Euch, Herr?«
Bren schüttelte beiläufig den Kopf, als er aufstand. Er hatte seine Kleidung nicht gewechselt. Da er nicht mehr schwitzte und sich in der vergangenen Nacht nirgendwo aufgehalten hatte, wo sie schmutzig hätte werden können, hatte er keinen Sinn in einem Nachtgewand gesehen.
»Gibt es Nachrichten für mich?«
»Die Gardisten wurden benannt, aus denen Ihr Eure Leibwache wählen könnt. In einer Stunde werden sie sich im Hof der Eisernen Strenge einfinden, um von Euch inspiziert zu werden.«
»In einer Stunde erst?«
Der Seelenbrecher blinzelte, als er den Kristall in einem Samtbeutel an seinem Gürtel verstaute. »Soll ich nach ihnen schicken, damit sie sofort kommen?«
Bren schüttelte den Kopf. Für einen Osadro war er ungewöhnlich früh erwacht. Zum Teil war das ein Verdienst seiner Jugend. Schattenherren, die hundert Jahre und älter waren, schliefen oft ganze Nächte durch, um erst in der darauffolgenden zu erwachen. Die S CHATTENKÖNIGE ruhten Jahrtausende zwischen den Perioden I HRER Herrschaft. Wobei manche wissen wollten, dass S IE in der Burg der Alten auf eine fremde Art bei Bewusstsein waren, sogar in Kontakt miteinander standen. Aber die S CHATTENKÖNIGE waren ohnehin Wesenheiten, die sich jedem Vergleich entzogen.
Obwohl die Wände von Brens Kammer mit aus Gold geschmiedeten Intarsien veredelt waren, bewohnte er ein für die Verhältnisse eines Osadro bescheidenes Gemach. Kein Wunder, schließlich hatte er noch kein Gefolge um sich gesammelt. G ERG hatte ihn zum Baronet über Guardaja ernannt, aber Guardaja war fern, und hier in Orgait hatte er in Lisanne eine Feindin, wie sie mächtiger kaum vorstellbar war. Wer sich ihm anschloss, ging ein unwägbares Risiko ein. Einen Osadro durfte auch eine Schattenherzogin nicht ungestraft töten. Für sein Gefolge galt jedoch kein vergleichbarer Schutz.
Rote Kristalle sandten ein Leuchten in den Raum, das ihn angenehm erhellte. Angenehm für Brens neue, scharfe Sinne. Dem Seelenbrecher musste es wie beinahe vollkommene Dunkelheit vorkommen. Bren sah, dass seine Pupillen sich so sehr geweitet hatten, dass die Iriden nur mehr haardünne Kreisbahnen waren.
Der Mensch wartete stumm darauf, dass er einen Wunsch äußerte. Bren trat zu der kleinen Truhe, die auf einem runden Tisch neben dem Bett stand. Ihren Inhalt zu betrachten war das Letzte gewesen, was er vor dem Einschlafen getan hatte. Es sollte auch der Beginn der neuen Nacht sein. Mit den eisenharten Krallen, die zu seiner gewandelten Natur gehörten, streichelte er über den Deckel. Als Bren das Behältnis öffnete, quietschten die Scharniere. Das Platin hatte sich verzogen, als die Truhe auf steinernen Boden gefallen war. Er sollte es richten lassen.
Auf dem Futter lag Kirettas Haken. Bren erinnerte sich daran, dass er ihn in den ersten Tagen monströs gefunden hatte. Man musste Daumen und kleinen Finger spreizen, um die Krümmung abzumessen. Das Ende bog sich auf den letzten zwei Zoll nach außen und war so spitz, wie die umlaufende Schneide scharf war. Er hatte gesehen, wie seine Geliebte diese Waffe eingesetzt hatte, etwa gegen die harten Panzer der Chaque, die der Haken ebenso mühelos durchschlagen hatte wie ein Dolch aus gehärtetem Stahl. Die Zärtlichkeit, mit der er den stählernen Bogen aus der Truhe nahm, passte nicht zu der wuchtigen
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