Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)
hätte ich seine Essenz mehr genießen können.«
»Ist das alles, woran du noch denkst? Dein Genuss?«
»Was weiß jemand von Genuss, der noch nie Essenz gekostet hat?« Er stand auf. »Aber nein, es ist nicht das Einzige. Noch nicht einmal das Wichtigste. Du hast doch gerade selbst erklärt, was unsere Welt beherrscht.«
Er ging zu ihr und fasste sie sanft an den Schultern, die ihr Kleid frei ließ. »Gewalt, wie bei den Freien Kameraden der See. Intrige ist nur eine andere Form davon. Die Herrschaft über den Geist. Einflüsterungen, die in die Seelen kriechen. Wenn die Schattenherren höflich miteinander umgehen, heißt das nicht, dass sie sich nicht umbringen wollen. Nur das Wort des S CHATTENKÖNIGS hindert sie daran, einander die Köpfe abzuschlagen. Wir sind Raubtiere, Kiretta, mehr noch als die Seeräuber, unter denen du gelebt hast.«
Sie hob den Haken, betrachtete die Rüschen, die darum raschelten, und schüttelte den Kopf. »Ihr sagt, ihr wollt die Welt beherrschen. Aber wen wollt ihr beherrschen, wenn ihr alle tötet? Sieh dir diese Stadt an! In einer Wüste gibt es mehr Leben als hier.«
Er strich eine Locke aus ihrer Stirn. »Manchmal muss man ein Feld abbrennen, um es für die nächste Aussaat vorzubereiten. In hundert Jahren wird es hier anders aussehen.«
»Das werde ich nicht mehr erleben.«
»Die Unsterblichkeit ist nur für wenige. Du musst denen vertrauen, die ewig leben.«
»Wie Velon?«
Bren runzelte die Stirn. »Das ist zu ernst, um darüber zu scherzen.«
»Ich scherze nicht.«
Er löste sich von ihr. »Lisanne scherzt auch nicht. Sie hat mich beinahe da, wo sie mich haben wollte. Bis zur Eroberung Akenes lief alles gut. Aber jetzt sind die gefangenen Paladine entkommen, und ich vermute, schon bei ihrem Ausbruch lag die Gnade der Mondmutter auf ihnen. Kurz darauf konnten sie Velon ermorden. Sie werden es gewesen sein, das ist das Wahrscheinlichste. Ich habe keine Angst vor ihnen, sie sollen nur kommen. Ich habe mehr als ein Mondschwert erschlagen, und wenigstens sind sie würdige Gegner. Aber über Velons Tod wird man in Orgait verärgert sein. Zudem wird Lisanne sicher nicht unerwähnt lassen, dass mir auch noch diese Mondpriesterin Nalaji entwischt ist, die dich entführt hatte. So wird sie Stein auf Stein in die Waagschale meines Versagens legen. Und wenn die sich senkt, wird der S CHATTENKÖNIG S EINE schützende Hand von mir ziehen.«
Er wandte sich ab. Kiretta wollte ihn nicht verstehen.
»Lisanne wird alles tun, um mich schwach dastehen zu lassen. Aber wir müssen stark sein, unseren Wert beweisen.«
»Wir? Oder du?«
»Ich. Ganz recht. Ob es dir passt oder nicht: Ich bin ein Osadro, und du bist es nicht. Ich bin der Schild, der dich schützt. Ohne mich wird sie dich töten. Begreifst du das nicht?«
»Warum duldest du dann die Razzor in deiner Nähe, die sie geschaffen hat? Glaubst du, sie kann sie nicht auf dich hetzen?«
Er dachte an das Wort, das die Razzor töten würde. Aber er konnte nicht ausschließen, dass Lisanne in ihre komplexen Zauber eine Möglichkeit eingewoben hatte, die Geschöpfe davor zu bewahren.
Bren schüttelte den Kopf. »So kann ich uns nicht schützen. Nicht mit Wachen. Auch nicht, indem ich manche Truppen fortschicke und andere in meine Nähe hole. Lisanne hat genug Zeit, genug Erfahrung und genug Macht, um das alles zu umgehen. Mich schützt keine Rüstung. Mich schützt das Gesetz der Schatten. G ERG kann in ihren Verstand greifen, und das ist das Einzige, was sie fürchten muss. Ohne S EIN Einverständnis kann sie mich nicht töten, ohne selbst unterzugehen. Der S CHATTENKÖNIG ist die einzige Macht, vor der ihre Möglichkeiten enden.«
»Das ist es, nicht wahr?«, flüsterte Kiretta. »Du bist besessen von Lisannes Feindschaft. Sie hat dich schon besiegt, Bren, denn sie beherrscht vollkommen dein Denken. Und dein Handeln. Du wirst ihr immer ähnlicher, entfernst dich immer weiter aus dem Leben, gehst immer tiefer in die Schatten.«
»Viele würden das als Kompliment verstehen.«
Langsam ging Kiretta zum Ausgang. Dort drehte sie sich noch einmal um. »Was ist aus dir geworden?«, fragte sie und zeigte auf Ehla. »Das ist deine Mutter, Bren. Deine Mutter! Du behandelst sie wie eine Dienerin, nimmst sie kaum wahr.«
»Sie will es so.«
»Darum geht es nicht. Die meisten Söhne lieben ihre Mütter, mehr noch als die Töchter. Manche hassen sie auch. Aber alle empfinden etwas für ihre Mutter. Kein Mensch kann seiner eigenen Mutter
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