Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)
und wischte aufwärts, um an der Schulter wieder auszutreten. Ein paar Spinnen flogen davon, sonst gab es keinen sichtbaren Effekt. Aber Bren hatte etwas in der Brust des Gegners gefühlt. Er hat ein Herz, und ich kann es greifen!
Der Unhold erkannte die Gefahr, die ihm drohte, und wich zurück.
Bren ließ den Einhornschild fallen und setzte nach, schlug jetzt mit beiden Händen gezielt in die Brust. Das Herz, wenn es denn eines war, musste sehr klein sein, nicht größer als eine Perle, denn Bren verfehlte es mehrmals. Dann aber traf er auf etwas Festes und schleuderte den Unhold gegen die Außenmauer der Festung. Anders als einem Gegner aus der greifbaren Welt boten die Quader ihm jedoch kaum Widerstand. Die Wand nahm ihn auf, wie Dunst es mit einem fleischlichen Körper getan hätte. Wütend sprang Bren hinterher, aber er konnte die Steine nicht durchdringen, während der Unhold klug genug war, auf einen erneuten Vorstoß zu verzichten.
Als Bren sich wieder seinen Gefährten zuwandte, sah er, dass der angegriffene Krieger wie unter heftigem Frost zitternd auf dem Boden hockte. Seine Augen huschten hin und her, was ein gutes Zeichen war. Hätte der Unhold seinen Verstand zerstört, dann hätte der Mann nur noch geistlos vor sich hin starren können.
Ehla kniete mit einem feierlich gefassten Gesichtsausdruck nieder. »Ich danke für die Gnade, von Euch gerettet worden zu sein, Herr«, sagte sie und verbeugte sich tief.
Bren wunderte sich darüber, dass es ihn befriedigte, dem Unhold Einhalt geboten zu haben. Viele Dinge verwirrten ihn derzeit, was für sein Alter normal war, wie Jittara und noch mehr Attego ihm stets versicherten. Die Gefühle für seine Mutter gehörten dazu. Er hätte gedacht, dass sie ihm gleichgültig wäre oder, wenn schon nicht das, dass dann Hass oder Verachtung die vorherrschende Emotion hätte sein müssen. Aber sie hatte diese Augen, mit denen sie ihn schon als Jungen angesehen hatte. Niemals liebevoll, aber dennoch … Bren wusste nicht, was er für sie empfand.
Jetzt war nicht der rechte Zeitpunkt, um in Grübeleien zu verfallen. »Holen wir Gadior.«
Jittara verneigte sich und übernahm wieder die Führung. Das Donnern der Wurfgeschosse begleitete sie auf dem Weg hinab. Wenn Bren sich nicht täuschte, hörte er auch das Splittern eines Tors.
Gadiors Schlaf wirkte täuschend leicht. Das lag nicht nur an den jugendlichen Zügen und an dem feinen, fast weißen Stoff seines Gewands, das auch einem Mädchen gut angestanden hätte, sondern auch an der Gestaltung seines Lagers. Die Bettdecke war kaum zu erkennen, wurde sie doch von einer Flut aus Rosen bedeckt. Ihre Farben reichten von Rot über ein zartes Lila bis zu einem hellen Gelb. Die meisten von ihnen waren voll erblüht und wirkten so frisch, als seien sie erst vor einer Stunde geschnitten worden. Auf manchen Blättern glänzte sogar noch Tau. Angesichts der Tatsache, dass die Krieger draußen erst eine Eisschicht zerstoßen mussten, um an Wasser zu kommen, konnte das nur bedeuten, dass dieser Schmuck Gadior so viel wert war, dass er magische Kräfte aufbot, um ihn zu ermöglichen. Da die Blumen gleichmäßig auf dem Laken angeordnet waren, das Gadior bis zur Brust reichte, sodass er die Arme darüber hatte legen können, musste ein Diener mit der Aufgabe betraut sein, sie zu drapieren, nachdem sich sein Herr zur Ruhe begeben hatte. Alte Osadroi entwickelten häufig seltsame Vorlieben, die dazu führten, dass unsinniger Aufwand in Dinge gesteckt wurde, die kaum Nutzen hatten. Wer sah schon Gadiors Arrangement? Normalerweise sorgten seine Gardisten dafür, dass ihn niemand während seines Schlafs besuchte. Nur Brens Anwesenheit ermöglichte es in dieser Nacht. Gab es eine Erinnerung irgendwo tief in Gadior, ein hartnäckiges Bild aus der Zeit, als noch warmes Blut durch seine Adern geflossen war, das ihm diese Rosen kostbar machte?
Bren hatte keine Zeit, darüber zu spekulieren. »Macht die Kutsche bereit«, befahl er Gadiors Gardehauptmann. »Der Schattengraf und ich werden die Festung verlassen.«
Einen Moment zögerte der Offizier, dann verbeugte er sich. Als er den Raum verließ, ging er schnellen Schrittes. Wohl nicht nur, um Brens Wunsch nachzukommen, sondern auch, weil er fürchtete, jemand könne auf den Gedanken verfallen, ihm zu befehlen, er solle Gadior wecken.
Aber Bren hatte nicht vor, den anderen Osadro aus dem Schlaf reißen zu lassen. Schon er selbst spürte die drei Vollmonde wie Felsbrocken auf sich lasten.
Weitere Kostenlose Bücher