Herr Klee und Herr Feld | Roman
ein Dr. Maik Lenze zu werden, und Moritz half ihm dabei mit Engelsgeduld. Der Student kam mindestens einmal in der Woche vorbei, um mit dem von ihm hochverehrten Professor Kleefeld seine Ergüsse zu diskutieren. Oft hatte er sie ihm schon vorab per Mail geschickt und so war Moritz vorbereitet. Einmal konnte Alfred den Titel von Maiks Dissertation lesen und der Respekt vor seinem Bruder wuchs von Stund an: Soziologische Untersuchung der technisch-wissenschaftlichen und psychologischen Ausrichtungen und Gegebenheiten in der Institutionalisierung und Organisation der ambulanten Palliativversorgung. Donnerwetter, da musste man erst mal drauf kommen.
Als Maik schließlich gegangen war, gab es Spaghetti mit Sahnesoße, die niemand so lecker zubereiten konnte wie Alfred, der alte Römer.
Seitdem sie mehr als eintausend TV -Sender empfangen konnten, waren sie überfordert. Bereits drei Mal war Tom, der Gymnasiast von nebenan, gekommen, um ihnen die Fernbedienung, die Favoritenliste und weitere Geheimnisse zu erklären, aber immer wieder verstellten sie die programmierten Einstellungen. Natürlich schob jeder das Missgeschick auf den anderen:
Ich habe das Ding nicht berührt!
Du hast es zuletzt in der Hand gehabt!
Ich?
Ja, du!
Dir ist es doch runtergefallen, nicht mir.
Runtergefallen? Es ist auf den Teppich gerutscht. Was soll da passieren?
Diese Dinger sind empfindlich.
Nicht so wie du!
Wir müssen Tom rufen.
Als sie an jenem Abend wieder einmal vor einem toten Bildschirm saßen, sagte Moritz plötzlich:
Wir brauchen jemanden.
Finde ich nicht. Wir kommen doch ganz gut zurecht.
Ja, wenn man nicht putzt und nichts macht, läuft es ganz gut, das stimmt, sagte Moritz bissig.
Okay, eine Putzfrau, das sehe ich ein.
Nein, ich will jemanden haben, der kocht, wäscht, putzt und sich kümmert. Wie die Stöcklein eben.
Ah, ich koche dir nicht gut genug.
Freddy, meinte da Moritz fast liebevoll, du kochst ausgezeichnet, aber du kannst nur ein einziges Gericht!
Alfred erhob sich.
Sie irren, Majestät, aber da du auf deinem koscheren Fraß bestehst, sind mir die Hände gebunden. Es gibt großartige Fleischgerichte mit Crème fraîche oder Käse oder was weiß ich. Aber solange du nicht ablässt von deiner exzellenten »cuisine juive« …
Dabei küsste Alfred verzückt seine Fingerspitzen und sprach dann weiter:
Es gibt keine Religion mit so vielen Hinweisen, Rezepten und Speisegesetzen und einer so miserablen Küche!
Moritz musste grinsen.
Das war nicht schlecht, kleiner Bruder.
Am nächsten Morgen frühstückten sie im Laumer. Sie saßen an ihrem Stammtisch, hinten im Nebenraum, an der Tür zur Terrasse.
Linda, die unverdrossene Kellnerin, hatte von Moritz einen koscheren Teller in Empfang genommen. Alfred saß hinter der Zeitung versteckt.
Es war ihm peinlich, dass der verrückte Professor sein Geschirr mit ins Café brachte! Auch andere Gäste schauten befremdet. Einmal hatte einer die Kellnerin darauf aufmerksam gemacht, dass der Alte in der Ecke das Besteck geklaut hätte, er habe gesehen, wie Messer, Gabel und Teelöffel in seiner Anzugjacke verschwunden waren. Linda hatte den Mann aufgeklärt und der konnte nur ungläubig den Kopf schütteln. Dass es so was gab. Heute. Wo wir mit Smartphones telefonieren, online einchecken und Drohnen fliegen lassen. Genauso empfand es auch Alfred, aber er hatte es aufgegeben, seinen Bruder von diesen archaischen Ritualen abhalten zu wollen. Anfangs hatte er versucht, ihm klarzumachen, dass der Teller in dieser nicht koscheren Umgebung ebenfalls nicht koscher sein konnte, aber Moritz hatte sich eine abstruse Theorie zurechtgelegt, von der er nicht abließ.
Soll er doch seinen verschissenen Teller überallhin mitnehmen, dachte Alfred. Besser als einen Stoffschimpansen als Gesprächspartner dabeizuhaben, wie Fritz Lang in seinen letzten Jahren.
Die Kleefelds aßen Butterbrötchen und zwei Eier im Glas. Moritz mit, Alfred ohne Schnittlauch. Dazu Tee und Kaffee. Im Laumer gab es keinen Streit um die Zeitung, jeder hatte seine Frankfurter Allgemeine. Manchmal blätterte Alfred auch in der Gala oder der Bunten und erzählte Moritz Geschichten von seinen Begegnungen mit einigen Prominenten, die er auf Fotos aus Hollywood oder Cannes entdeckt hatte. Sein Bruder hörte sich das brav an. Aber es interessierte ihn nicht. Wenn Moritz dann mal eine abfällige Bemerkung machte, wie »Es gibt Wichtigeres«, konnte es leicht zur Auseinandersetzung kommen. Schließlich, so
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