Herr Klee und Herr Feld | Roman
innerlich überzeugt oder hat er sie nur als Vorwand benutzt? Was meinen Sie, Professor?
Moritz fragte:
Hast du deine Herztabletten genommen?
Gut, dass du das sagst …
Alfred griff in seine Tasche, zog sein Pillendöschen heraus.
Habe ich sie ja genommen, nein genommen? Was weiß ich?
Nimm sie besser.
Alfred nahm eine Tablette.
Plötzlich wirkte er krank und zerbrechlich.
Alfred saß vor seinem Laptop, als er ein Scheppern hörte. Er lief in die Küche, wo Moritz auf dem Boden kniete und damit beschäftigt war, in Essig getränkte Scherben eines Gurkenglases vorsichtig zwischen den Gewürzgurken herauszupicken. Alfred schloss mit langem Arm wortlos die Tür des Kühlschranks.
Ich weiß nicht, wie das passiert ist, sagte Moritz zerknirscht.
Ich kann’s dir sagen, es ist runtergefallen.
Ich habe es übersehen. Ich wollte mir ein Joghurt holen.
Alfred ging in die Hocke.
Mein Gott, bist du ungeschickt! Man nimmt die Gurken, tut sie zur Seite und wischt dann alles zusammen.
Man kann sich schneiden.
Du kannst dich schneiden! Komm, lass mich das machen.
Er ging in die Hocke. Moritz erhob sich stöhnend und rieb sich die Knie.
Alfred sah zu ihm hoch:
Ein Mensch soll so blöd sein! Wie kannst du dich auf die Fliesen knien, mit deinem Rheuma? Meschugge. Mach uns lieber ein Brot.
Moritz war froh, dass er etwas tun konnte.
Mit was?
Nicht mit Gurken!
Vorsichtig, um nicht in das Gurkendesaster zu treten, öffnete Moritz den Kühlschrank und entnahm Butter und Scheibenkäse.
Dann ging er zum Küchenschrank, holte ein Brot aus dem Brotkasten und ein Messer aus der Schublade. Auf einem Brett auf dem Küchenblock schnitt er zwei Scheiben ab.
Nicht vergessen: milchiger Teller, sagte Alfred, während er zum Besenschrank ging, um Schaufel und Handfeger zu holen.
Du chochem, deine ejzes fehlen mir noch, sagte Moritz.
Für Mai war es relativ kühl und Alfred hatte die Heizung in seinem Zimmer etwas hochgedreht. Er surfte im Internet. Fast täglich suchte er nach seinem Namen, aber die Einträge vermehrten sich nicht. Auf der IMD b-Seite stand seine Filmografie, sie endete mit einem Film aus dem Jahr 2008 . Ein italienischer Mehrteiler fürs Fernsehen mit dem Titel »Fluch der Vergangenheit«. Auch so ein Meisterwerk!
Darin spielte er wieder einmal einen Untoten, einen toskanischen Edelmann, der von den Schergen Garibaldis im Keller lebendig eingemauert worden war und der plötzlich in der heutigen Zeit auftaucht, um sich an den Nachkommen seiner Feinde zu rächen. Darunter ist natürlich, wie konnte es anders sein, auch eine verdammt gut aussehende junge Frau, die ihn schließlich zur Strecke bringt, weil sie Liebe heuchelt. Beim Showdown stößt sie ihn in einen riesigen Bottich mit Olivenöl, in dem er qualvoll ertrinkt. Ein Stunt, den er gern selbst gemacht hätte, aber die Versicherung war nicht bereit, das zu akzeptieren. Was letztendlich allerdings auch keine Rolle mehr spielte: Es war ein lausiges Drehbuch und daher konnte kein guter Film entstehen.
In den folgenden Jahren war Alfred bei diversen Castings. Überall wurde ihm gesagt, dass er ein toller Typ sei, nur nicht so richtig in die Rolle passen würde. Die Leute waren zu feige, ihm einfach zu sagen: He, verzieh dich, kauf dir eine Schnabeltasse! Obwohl er das genau wusste, wollte er es nicht glauben. Wie viele ältere Schauspieler gab es, die noch erfolgreich waren und gut im Geschäft? Clinty zum Beispiel, mit dem er in den Sechzigern Italowestern gedreht hatte, war zum Superstar geworden. Ein reicher Produzent und begnadeter Regisseur. Aber heute war an ihn nicht mehr ranzukommen. Vor ein paar Jahren hatte Alfred ihm geschrieben, ihn an die guten, alten, gemeinsamen Zeiten erinnert, an die verrückten Partys, und hatte beiläufig erwähnt, dass er sich über einen kleinen Job in einem seiner Filme freuen würde. Zurück kam ein Autogramm:
»Loving you, Clint Eastwood«. Das war’s.
Gegen Abend schaute Alfred bei seinem Bruder rein, um ihn zu fragen, ob er denn was kochen sollte. Zum Beispiel Spaghetti mit einer pikanten Sahnesoße. Moritz hatte Besuch von einem seiner ewigen Studenten, einem gewissen Maik Lenze.
Maik! Das hatten uns die Ossis eingebrockt, dachte Alfred. Die wollten hip sein und hatten keine Ahnung von Orthografie. Eltern wissen offenbar nicht, was sie ihren Kindern mit überchochmezten und fehlerhaften Vornamen wie Marcell, Timm, Devid, Mendy oder Shantall antun. Besagter Maik Lenze hatte seit Jahren die Absicht,
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