Herr Klee und Herr Feld | Roman
sagte leise:
Herr Feld weiß es nicht.
Damit verließ er die Küche.
Alfred hat recht. Obwohl ich mich mein ganzes Leben als Sozialwissenschaftler mit den Phänomenen der Masse befasst habe, muss ich gestehen, dass ich nur an der Oberfläche gekratzt habe. Vieles bleibt nur schwer erklärlich, vieles verborgen. Denn oft greifen die soziotypischen Verhaltensweisen nicht. Das Irrationale ist eben, wie der Name sagt, irrational.
Wann haben Sie begonnen, sich für Psychologie zu interessieren?
Er setzte sich an den Küchentisch.
Schon recht früh. Während mein Bruder Ende der Fünfziger das Leben eines Bohemiens führte, mit Partys, Mädchen und dem erklärten Ziel, ein Filmstar zu werden, arbeitete ich bereits an meiner Promotion. Ich war glücklich, in Frankfurt zu sein, wo Koryphäen lehrten. Und ich hegte den Wunsch, zu ihnen zu gehören …
Moritz hatte im Gegensatz zu seinem Bruder wenig Interesse an ausschweifenden Freizeitvergnügungen. Er engagierte sich intensiv im Zionistischen Studentenbund und fuhr in den Semesterferien regelmäßig nach Israel, wo er in verschiedenen Kibbuzim arbeitete. Damals hätte er es sich gut vorstellen können, für immer nach Israel zu gehen. Der Arbeiterzionismus übte zu dieser Zeit eine große Anziehungskraft auf ihn und seine Altersgenossen aus. Es war die Einsicht, dass die jungen Juden in der Diaspora ein dekadentes, assimiliertes, ja nutzloses Leben führten, während es in Israel täglich ums Überleben ging, das Kollektiv gleichzeitig die sozialistische Utopie zu verwirklichen suchte, in der es keine Ausbeutung gab. Alles würde allen gehören, das Land, die Bücher, selbst die Kinder.
Auch die Liebe war eine freie, ungezwungene, wobei sich Moritz hier eher gegen das Kollektiv stellte. Er wurde schlicht eifersüchtig, wenn ein Mädchen, dass er nach der ersten Nacht sofort geheiratet hätte, am nächsten Tag mit einem anderen zusammen war.
Als man ihm im Jahr 1962 in Frankfurt eine Dozentur anbot, musste er sich entscheiden. In Israel lockten das Abenteuer, die Wildnis, der Orient und die Möglichkeit, gemeinsam mit anderen etwas Neues zu gestalten.
In Deutschland wartete die akademische Karriere mit all ihren Annehmlichkeiten auf den jungen Doktor. Habilitation, Autorenschaft, Kongresse, Preise. Ein angenehmes Leben im wissenschaftlichen Elfenbeinturm. Während die Jugendlichen die Musik der Beatles hörten, sich die Haare wachsen ließen und Hasch rauchten, wurde Moritz Professor.
Der Sechs-Tage-Krieg brachte nicht nur für Israel eine Zeitenwende. Juden in aller Welt waren auf Israels Seite, viele reisten in das Land, um zu helfen. Moritz hatte ein zwiespältiges Gefühl, wenn er die deutsche Presse las. Erst ein Krieg, der mit Löwenmut gewonnen wurde, nachdem man bereits in den Abgrund gesehen hatte, ließ Juden plötzlich in einem anderen Licht erscheinen. Es war traurig, dass sie im Bewusstsein der Menschen in der Bundesrepublik nur durch diesen gewonnenen Krieg Anerkennung bekamen. Als Ostjerusalem eingenommen war, ahnte Moritz bei aller Freude, dass dies eine schwere Hypothek werden würde.
Als ihm der fanatische linke Antisemitismus, getarnt als Antizionismus, entgegenschlug, wurde ihm klar, dass diese jungen Deutschen die Kinder der alten Deutschen waren. Enttäuscht packte er seine Koffer und ging für ein paar Jahre nach Berkeley.
Selbst als er altersmilde geworden war und sich mit den deutschen Studenten arrangiert hatte, behielt er bis zuletzt seine jährliche Gastdozentur in Kalifornien.
So, meinte Moritz, jetzt wissen Sie alles!
Zamira lächelte.
Nein, sagte sie, weiß ich nicht, wie haben Sie Ihre Frau kennengelernt?
Das interessiert Sie?
Das interessiert Frauen immer!
Tja, es war im Jahr 1972 , anlässlich eines Kongresses zum Thema »Aktuelle Sozialpsychologie der westlichen Gesellschaften«, bei dem ich als Redner angekündigt war, sagte Moritz, da lernte ich die junge, wissbegierige Redakteurin Fanny Trindel aus Antwerpen kennen. Sie schrieb Artikel für eine jüdische Zeitung und hatte sich mit mir in einer Hotellobby in Paris zum Interview verabredet. Sie wirkte unsicher, war eine Frau von siebenundzwanzig, die noch recht wenig Lebenserfahrung hatte. Sie stammte aus einem religiösen, wohlhabenden Elternhaus und war sorgfältig erzogen worden. Die Familie war seit Generationen im Diamantenhandel tätig. Ihr Vater Aron besaß eine gut gehende Schleiferei in der Pelikaanstraat, dem Diamantenzentrum. Ihr Onkel Hyman, der
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