Herr Klee und Herr Feld | Roman
seine Frau zu besuchen, wie er sagte. Als der Nachtportier die Zimmernummer nicht herausgeben wollte, zwangen die Männer ihn dazu. Mark stürmte nach oben und drang in das Zimmer von Zamira und Olga ein. Er beschimpfte seine Frau als Lesbe. Alex beobachtete die Szene. In blinder Wut zerstörte Faller Möbel und schlug immer wieder auf Zamira ein. Olga hatte inzwischen Hilfe geholt und irgendwann wurde Faller überwältigt und von der Polizei festgenommen.
Die rote Linie war überschritten. Zamira nahm sich einen Anwalt und reichte die Scheidung ein. Sie verließ die gemeinsame Wohnung und zog zu Olga. Als Mark sie weiterhin terrorisierte, zeigte sie ihn an und informierte seinen Arbeitgeber. Mark Faller verlor seinen Job. Ein tiefer Sturz, der noch mehr Wut freisetzte. Er bedrohte sie am Telefon, er lauerte ihr auf, er terrorisierte sie von nun an Tag und Nacht.
Zamira entschloss sich, die Stadt zu verlassen. So kam sie nach Frankfurt, wo russische Freunde von Olga eine Familienpension besaßen. Sie wechselte ihre Handynummer und verschwand von Fallers Radar. Lediglich Olga kannte ihre neuen Kontaktdaten. Als sie den Job bei den Kleefelds bekam, fühlte sie sich das erste Mal in Sicherheit und wieder glücklich.
Sind Sie eigentlich glücklich?, fragte sie ihn.
Alfred war überrascht.
Wieso fragen Sie mich das?
Weil ich das Gefühl habe, dass Sie nicht glücklich sind.
Ach, wissen Sie, es kommt darauf an, was man noch erwartet. Ich hatte ein abwechslungsreiches Leben, habe viele interessante Menschen kennengelernt, hatte viele, wie soll ich sagen, »Frauengeschichten«. Es ist mir gut gegangen. Ich war nie reich, aber hatte immer genug Geld, um zu überleben. Ich habe Rom geliebt.
Warum Sie sind weg?, wollte sie wissen.
Nach dem Herzinfarkt im letzten Jahr hat sich mein Leben verändert. Es ist mir plötzlich klar geworden, dass ich allein bin, dass ich niemanden habe, der sich um mich sorgt. Es gab keinen, den ein Arzt hätte ins Vertrauen ziehen können. Wen sollen wir benachrichtigen?, fragte man mich in der Klinik. Mir fiel niemand ein. Außer meinem Bruder …
Es war ein milder Spätsommertag. Alfred, in eine Decke gehüllt, saß neben Moritz auf der Terrasse der Klinik und schaute in die Landschaft. Er sah in ein Tal, an dessen Ende sich ein Pinienwäldchen befand, hinter dem man im Abenddunst die Silhouette von Rom mit seinen Hügeln und Kuppeln ahnen konnte.
Hat etwas von Turner, sagte Moritz.
Alfred lächelte. Er sah zu seinem Bruder, erkannte im Profil des alten Mannes den jungen Moritz von damals.
Moritz sah ihn an.
Was hältst du davon, wenn du zu mir nach Frankfurt kommst?
Alfred war überrascht. Er zog die Decke am Hals zusammen, hielt sie und sagte:
Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.
Was sollst du hier in Rom?
Es ist meine Heimatstadt.
Heimat! Du hast hier keinen Menschen. Wer kümmert sich um dich?
Und in Frankfurt? Du kümmerst dich? Du hast doch genug mit dir zu tun.
Ich habe ein Dienstmädchen, du hast zwei Zimmer für dich. Du kennst noch Leute von früher. Du wirst dich schnell einleben. Ich biete es ja nur an. Warum sollen zwei Brüder nicht am Ende ihrer Tage zusammenleben?
Ich weiß nicht, sagte Alfred unsicher.
Komm mir nicht mit: Einen alten Baum soll man nicht verpflanzen!, sagte Moritz.
Nein, das ist es nicht. Wir sind uns fremd geworden. Du hast deine Macken, ich habe meine.
Das Haus ist groß genug. Wir können uns aus dem Weg gehen, wenn wir uns auf die Nerven fallen!
Ich werde darüber nachdenken, sagte Alfred.
Ein halbes Jahr später war ich hier. Und heute weiß ich, dass es ein Fehler war, sagte Alfred und trank einen Schluck von dem süßen Tee.
Wieso Fehler?, fragte Zamira.
Es ist schwer sich einzugewöhnen. Mit jemandem zusammenleben ist für einen älteren Junggesellen besonders schwer. Ich habe ja im Lauf der Jahre Schrullen entwickelt, die nur etwas mit mir selbst zu tun haben. Tagesrhythmus, Essgewohnheiten, Schlafen, Hygiene. Ich höre gern laute Musik und rede vor mich hin. Manchmal erinnere ich Texte aus meinen Filmen. Moritz sieht gern wissenschaftliche Filme, ich mag Melodramen. Ich liebe Spaghetti, er Kartoffeln. Ich gehe gern essen, er sitzt gern zu Hause. Wir haben unterschiedliche Interessen. Ich mag die Beatles, er Strawinsky.
Also, ich finde, so groß sind die Unterschiede nicht.
Es klopfte an der Tür.
Zamira?, hörte man Moritz.
Sie sprang auf und öffnete.
Moritz kam ins Zimmer und bevor er etwas sagen konnte,
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