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Herr Klee und Herr Feld | Roman

Herr Klee und Herr Feld | Roman

Titel: Herr Klee und Herr Feld | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Bergmann
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Moritz.
     
    Der kleine, dicke Herr Singer mit seinem Monjou-Bärtchen kriegte sich kaum noch ein und schleppte in Windeseile einen zweiten Stuhl vor seinen Schreibtisch.
    Bitte, Herr Professor, nehmen Sie doch Platz, Herr Professor, ich habe Ihrem verehrten Herrn Bruder gestern bereits berichten dürfen …
    So ging es in einem fort.
    Moritz und Alfred saßen nebeneinander und hörten sich das Gesülze von Singer emotionslos an. Ab und zu nickten sie oder machten eine kurze Bemerkung. Singer kopierte den Totenschein und gab Alfred das Original zurück.
    Ihre verehrte Frau Mama hat ja bereits vorgesorgt, wenn ich das mal so sagen darf. Sie hat ein Grab erworben. Wollen Sie nicht nach Frankfurt?, habe ich sie gefragt. Ach, wissen Sie, mein lieber Herr Singer, hat sie gesagt, in Frankfurt besucht mich doch keiner. Aber hier auch nicht, sagte ich und sie meinte, das stimmt, aber hier ist die Aussicht besser!
    Moritz und Alfred lächelten gequält.
    Ja, Ihre Frau Mama war etwas ganz Besonderes. Dass sie so enden musste …
    Schockartig setzte bei Alfred das schlechte Gewissen ein. Natürlich wusste dieser Singer Bescheid. Wahrscheinlich hatte ihm Baby erzählt, wie allein gelassen sie sich fühlte. Deshalb auch die hinterfotzige Anspielung auf das Grab und seine Vorgeschichte. Ja, Alfred fühlte sich schuldig. Er hätte sich mehr kümmern müssen. Er hätte ihr das Gefühl geben sollen, dass er ihr verziehen hat. Sein falsches halbes Leben. Zusammen mit einem Mann, den er Onkel nannte und den er liebte und von dem er sich gewünscht hatte, er wäre sein Vater. Und als er dann sein Vater wurde, war es zu spät.
    Wie siehst du das?, hörte er Moritz fragen.
    Was?
    Na, die Beerdigung, irgendwelche Wünsche?
    Singer sah die beiden mit seinen flinken Schweinsäuglein an.
    Bescheiden, sagte Alfred, keinen Pomp.
    So sehe ich das auch, sagte Moritz.
    Gut, Herr Professor, ergänzte der dicke Mann, der leicht schwitzte, wir machen die Standardzeremonie: kleine Trauerfeier in der Halle, der Rebbe redet ein paar Worte, einer von Ihnen vielleicht auch, dann gehen wir zum Grab, sie sagen Kaddisch und c’est tout.
    Einverstanden, sagte Moritz, keine Musik, keine Blumen, keine Kränze, keine Bilder, aschkenasisch, bitte.
    Wir haben einen sephardischen Rabbiner.
    So what, sagte Alfred, weglassen ist doch keine Kunst.
    Wie Sie meinen, sagte der Mann hinter seinem Schreibtisch. Er blätterte in seinen Unterlagen, schaute auf seine Uhr und fragte dann:
    Wollen wir noch eine Anzeige veröffentlichen für morgen? Im Nice-Matin?
    Gern, sagte Moritz, oder?
    Alfred nickte. Ja, ja.
    Ihre Mutter hatte ja nicht viele Bekannte hier. Wollen Sie die Herrschaften benachrichtigen?
    Wir kennen ja niemanden, außer der Nachbarin, sagte Alfred.
    Dann schlage ich vor, sagte Singer, dass ich Madame Mosbach bitten werde, den anderen Bescheid zu sagen, dass die Beisetzung …
    Er blätterte in seinem Kalender, … morgen um elf Uhr stattfindet.
    Moritz und Alfred erhoben sich fast gleichzeitig.
    Übrigens, meine Herren, wenn Sie mal in Nizza gut essen wollen …
     
    Moritz tupfte sich mit seinem weißen Taschentuch die Stirn, als sie durch die Schalterhalle der »Crédit Agricole« gingen. Alfred zog den ratternden Samsonite seines Bruders hinter sich her. Alle Kunden drehten sich nach ihm um.
    Wir hätten gern Monsieur Bernard kurz gesprochen, sagte Moritz zu einer Mitarbeiterin, die an einem Informationsschalter saß.
    Wen darf ich melden?
    Kleefeld, sagte Moritz.
    Le Professeur Kleefeld, fügte Alfred rasch an, er kannte die Franzosen.
    Die junge Dame sprang auf und verschwand in einem Büro.
    Sekunden später erschien Monsieur Bernard mit ausgebreiteten Armen und begrüßte zuerst Moritz, dann Alfred.
    Er kondolierte.
    Mon Dieu, sagte er betroffen, ich habe heute in der Zeitung gelesen von dem Unfall und bei dem Namen Barbara K. wusste ich sofort … es tut mir so leid. Aber kommen Sie doch, meine Herren.
     
    Moritz war im Badezimmer, Alfred hörte die Dusche. Er hatte die Spitzendecke vom Tisch genommen und die Unterlagen darauf ausgebreitet. Kontoauszüge und den Inhalt des Schließfachs. Auch die zweiundvierzigtausend Francs, die sie abgehoben hatten, legte er dazu. Dann ging er zum Balkon und öffnete die Tür. Er trat hinaus und sah über die Dächer von Nizza bis zum Meer. Er ging zu einer Kurbel und bewegte die Markise nach unten. Dann nahm er sich einen der weißen Plastikstühle, die an einem Plastiktisch standen, und setzte sich. Jetzt,

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