Herr Klee und Herr Feld | Roman
jeden guten Song den Juden unterschieben. Selbst »Windmills of Your Mind« oder »Paint It Black« sind ursprünglich jiddische Volkslieder! Auch vor »Yesterday« von den Beatles schreckt er nicht zurück.
Er parodierte es:
Bababoy baba baba baba bababoy …
Nehmen Sie ihn nicht ernst, Zamira, von Musik verstehe ich mehr. Viele dieser Songs beruhen auf ostjüdischen Harmonien und Melodien.
Nein, sagte Alfred, man kann jede Melodie vereinnahmen, wenn man will.
Darin bist du doch Weltmeister, konterte Moritz. Du machst doch aus jedem, der in irgendeiner Disziplin Erfolg hat, einen Juden.
Spielberg ist kein Jude?, sagte Alfred.
Soros ist Jude.
Genau. Und Madoff auch!, pflichtete Moritz bei.
Und Einstein? Und Philip Roth? Und Natalie Portman?
Alles Juden, sagte Moritz. Genau wie Gershwin, Mahler oder Schnitzler.
Woody Allen, sagte Alfred, Freud.
Oder Usain Bolt!, rief Moritz, sein Vater hieß ursprünglich Yankel Boltowitsch! Wusstest du das, Freddy?
Alle lachten.
Wissen Sie, was ist komisch, sagte Zamira, Sie machen aus allen besonderen Menschen Juden, und bei uns sind alle Schurken Juden.
Das überrascht mich keinesfalls, meinte Moritz.
Muss ich raus hier?, fragte sie dann.
Ja genau, Wiesbaden Zentrum.
Als sie einige Minuten später über die Wilhelmstraße fuhren, wurde Alfred von einer Welle der Erinnerungen überrollt. Wie oft war er in seiner Kindheit und Jugend hier gewesen! Zuerst mit seiner Mutter und David im Park-Café. Später mit David im Kasino. Der war kein exzessiver Spieler und konnte rechtzeitig aufhören. Er hatte es sich zum Prinzip gemacht, beim Roulette auf einfache Chancen zu spielen. Setzte er also einhundert Mark auf Rot und es kam Rot, dann verließ er sofort mit einhundert Mark Gewinn das Kasino. Mehr, so sagte er, konnte er in einer Minute nicht verdienen. Verlor er aber, verdoppelte er jedes Mal den Einsatz, bis er ihn zurückhatte. Dann ging er auch. Er hatte nichts gewonnen, aber auch nichts verloren. Ganz anders Alfred. Er setzte Carré und Transversale. Jedes Mal, wenn er das Kasino betrat und zum Roulette ging, fühlte er sich geschmeichelt, weil der Croupier ihn nicht nur erkannte und mit Namen ansprach, sondern sich auch noch an sein Spielsystem erinnerte. Das war ein Trick, wie David ihm einmal erklärte, auf den nur schlechte Spieler hereinfielen. Später, im Lauf seines Lebens, in Cannes oder Monte Carlo, erkannte Alfred schmerzlich, dass sich Davids Feststellung bewahrheitete.
Mein Gott, rief Alfred, die Wilhelmstraße!
Schön hier, bemerkte Zamira.
Schön?, rief Alfred, wo ist die Eleganz geblieben, das Flair?
Moritz drehte sich nach hinten zu ihm um.
Alles weg. Das Park-Café, das Blum, die eleganten Geschäfte.
Mir gefällt es, sagte Zamira.
Das ist die Hauptsache, meinte Moritz, da hinten links, da finden wir sicher einen Parkplatz.
Nach einem Bummel von etwa einer Stunde machten sie sich auf die Suche nach einem Restaurant. Vorher hatte sich Zamira anhören müssen, wie toll, wie elegant, wie edel dieses Viertel einmal gewesen war. Heutzutage wurde den Innenstädten jeder Charme ausgetrieben. Das war das Verteufelte an der Globalisierung. In jeder Stadt sah man Starbucks, H&M, Hugendubel, Jack Wolfskin, Vodafone oder Fielmann. Flüchtete man sich dann in eine der zahllosen Passagen, Konsumtempel mit Marmorböden, gläsernen Geländern und Rolltreppen, fand man wieder die gleichen Modeboutiquen, Drogeriemärkte oder Geschenkartikelläden.
Es amüsierte Alfred, dass Zamira vorschlug, in das japanische Restaurant zu gehen, das sie auf der gegenüberliegenden Seite entdeckt hatte. Moritz war einverstanden und so überquerten sie die Straße. Japanisch! Trejfe! Etwas Sündigeres konnte es für den Herrn Professor nicht geben. Fleisch ging gar nicht und ansonsten gab es Schalentiere. Alfred war gespannt.
Das Lokal war überraschend angenehm. Keinerlei Folklore, die Einrichtung war modern, funktional. Sie nahmen an einem Ecktisch Platz, von wo aus sie auf die Straße sehen konnten. Dann kam die Bedienung mit einem iPad. Auf dem Display waren alle Speisen abgebildet, die das Haus anbot, inklusive Beschreibung und natürlich der Preise. Sie waren überrascht, so etwas hatten die drei noch nie gesehen. Jeder bekam das Gerät in die Hand, scrollte nach Belieben hoch und runter und sobald man auf das entsprechende Gericht tippte, war die Bestellung in der Küche. Genial. So stellte sich jeder sein Essen zusammen und auch Moritz durfte einigermaßen sicher
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