Herr Klee und Herr Feld | Roman
Frau einen Schirm dabei. Alfred setzte sein Käppchen auf, nahm den Schirm, unter den Juliette schlüpfte, indem sie sich bei Alfred einhakte. Sie durchschritten das Portal, überquerten den menschenleeren Innenhof. Ein Mann kam aus dem Verwaltungsbüro gelaufen und rief: Juliette!
Er umarmte sie und begrüßte dann Alfred.
Du kennst Alfred Kleefeld?, fragte Juliette.
Na sicher, sagte der Mann, ich bin Bibi Werbowitzer. Du warst doch immer im Imbiss meines Vaters.
Ja klar, Bibi, erinnerte sich Alfred, auf der Kaiserstraße, neben Fränkels Teppichladen. Hast du nicht Zahnmedizin studiert?
Hat er auch, schaltete sich Juliette ein, Bibi hatte eine Praxis. Vor ein paar Jahren war ich mal bei ihm. Ich bekam hier plötzlich irre Zahnschmerzen.
Na ja, wie das so ist, meinte Bibi, ich habe aufgehört und mir gesagt, jetzt wird gelebt, und was soll ich dir sagen? Ich habe mich gelangweilt. Die Kinder sind aus dem Haus, der Hund ist tot, die Frau reist den Enkeln nach. Deshalb habe ich den Job hier vom alten Herschkowitz übernommen. Ehrenhalber.
Und wie läuft es so?, fragte Alfred.
Wunderbar, die Kundschaft geht mir nie aus, sagte Bibi und lachte.
Und du? Du bist doch beim Film, oder?
Bevor Alfred antworten konnte, zog ihn Juliette weiter.
Bis später, rief sie.
Sterben kommt nicht aus der Mode, sagte Alfred, als sie Hand in Hand durch die Grabreihen gingen. Das letzte Mal, konnte er sich erinnern, war hier der Friedhof zu Ende, heute ging er endlos weiter, unglaublich. Sie kamen an den Gräbern von Holzmann, von Fränkel, Verständig und Fajnbrot vorbei. Jedes Mal erzählte Alfred Juliette eine kleine Geschichte voller Witz und Wehmut und sie legten Steinchen auf die Gräber. Dann standen sie mit einem Mal vor dem Familiengrab der Lubinskis, Jean und Lulu, auch im Tod unzertrennlich.
Hat sie sich umgebracht?, fragte Alfred.
Wir wissen es nicht und ich habe auch nicht weiter geforscht. Sie ist nie über den Tod meines Vaters hinweggekommen. Er war der Mittelpunkt ihres Lebens. Sie hat alles für ihn getan, sie hat ihn geliebt, verehrt, vergöttert. Deshalb bin ich übrigens Analytikerin geworden. Um das zu begreifen, auch um mich in dieser Konstellation zu finden. Ich habe mal einen Essay darüber geschrieben. Kann ich dir mailen.
Ja, bitte.
Juliette blieb noch eine Weile stumm vor dem Grab ihrer Eltern stehen, dann sagte sie:
So, wen haben wir noch?
Nach zehn Minuten hatten sie das Grab von David Bermann gefunden. Es war überwuchert von Pflanzen, aber Name und Daten waren noch zu erkennen. 20.12.1898–11.1.1972 . Während Alfred nach einem Steinchen forschte, sagte Juliette:
Ich sehe ihn vor mir. Ein gut aussehender Mann, wie ein Filmstar hat er ausgesehen. Und war immer super gekleidet, sehr elegant. Deine Mutter und er waren ein optimales Paar. Ich war als junges Mädchen schwer beeindruckt. Du hast übrigens viel von deinem Onkel David.
Er war mein Vater!, sagte Alfred plötzlich. War es unüberlegt oder wollte er, dass sie dieses Geheimnis kennen sollte? Nun war es in der Welt und Juliette schaute entsprechend ungläubig.
Was?! Sie starrte ihn an.
Es ist, wie ich dir sage. Das Trauma meines Lebens. Nicht, dass er mein Vater ist, aber die Tatsache, dass man es mir so lange verschwiegen hat.
Wie lange weißt du es schon?
Leider habe ich es erst nach seinem Tod erfahren.
Er machte eine Pause, sah in den Himmel. Die Tränen kamen ihm, als er leise sagte:
Das habe ich ihr niemals verziehen …
Er weinte und die kleine Juliette nahm ihn in die Arme.
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23
Es war Jahre her, dass sie eine lange gemeinsame Autofahrt unternommen hatten, denn meist endeten diese im Streit. Das vorletzte Mal, als ihn Moritz in Rom besuchte und sie nach Neapel gefahren waren, erregte sich sein Bruder darüber, dass der Wagen keine Klimaanlage hatte und man bei offenem Fenster fahren musste. In Neapel lag Moritz dann zwei Tage im Hotel, weil er sich einen steifen Nacken geholt hatte.
Du hättest deinen schmock aus dem Fenster halten sollen, meinte Alfred spöttisch, aber das kam bei seinem Bruder gar nicht gut an. In Pompeji stolperte Moritz und prellte sich das Knie. Am letzten Abend in Rom verdarb er sich in einem Restaurant, selbstverständlich einem koscheren, den Magen. Zwei Tage später rief Fanny in Rom an und meinte in ihrer oberlehrerhaften Art:
Alfred! Ich habe dir einen kerngesunden Mann geschickt und zurück bekomme ich ein Wrack!
Er hatte sich damals geschworen, nie mehr mit seinem Bruder
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