Herr Klingsor konnte ein bißchen zaubern.
Schluchzen aus. »Anschließend ist er auf dem Dachfirst herumgetanzt! Ungefähr so, als sei das kein Dachfirst, sondern ein Schwebebalken! Das reinste Wunder, dass er sich nicht den Hals gebrochen hat, unser armer Junge ...«
»Keine Sorge, Frau Knobloch!« Herr Klingsor hätte nicht der Herr Lehrer Klingsor sein dürfen, wenn er nicht auf der Stelle gewusst hätte, was mit dem Paulchen geschehen musste. »Gehen Sie nur in aller Ruhe nach Hause, Frau Knobloch. Ihr Paulchen wird sich gewiss nicht den Hals brechen. Und auch Arme und Beine nicht. Das verspreche ich Ihnen.«
In der nächsten Turnstunde sagte der Herr Klingsor zu den Kindern der dritten Klasse: »Wollt ihr mal einen richtigen Kunstturner sehen? Dann seht euch mal unser Paulchen an!«
Und Knoblochs Paulchen führte den Kindern vor, was ein richtiger Kunstturner alles können muss: die Riesenwelle am Reck, den doppelten Salto über das Pferd, die zweifach-dreifach gezwirbelte Schere am Stufenbarren und hundert andere Kunststücke dieser Art, wie man sie sonst nur im Zirkus zu sehen bekommt.
Die Kinder staunten, das Paulchen strahlte. Und der Herr Lehrer Klingsor schmunzelte.
»Seht ihr nun, dass das Paulchen weder zwei linke Hände hat noch zu dick ist? - Komm doch mal her, Paulchen ...«
Knoblochs Paulchen hatte tatsächlich überhaupt keine Angst mehr! Er kannte beim Turnen buchstäblich nicht die geringste Vorsicht - und das war es ja eigentlich nicht gerade, was der Herr Klingsor gewollt hatte. Was also tun?
Ganz einfach! Herr Klingsor legte dem Paulchen wieder die rechte Hand auf den Nacken und murmelte einen seiner geheimen Sprüche dabei, diesmal sprach er ihn aber von hinten nach vorn, etwa zehn, zwölf Wörter nur.
Da war es dem Paulchen, als würde die Schraube in seinem Nacken wieder ein wenig fest gedreht.
Nicht sehr stark, bloß ein bisschen eben. Um zehn, zwölf Drehungen etwa.
»No, Paulchen?«
»Schon gut, Herr Lehrer ...«
Von jetzt an, was soll ich sagen, war Knoblochs Paulchen zwar nicht mehr gerade ein richtiger Kunstturner - einer, bei dem man befürchten musste, er werde sich eines Tages den Hals brechen -, aber ...
Aber, auch das muss gesagt sein: Von jetzt an war Knoblochs Paulchen im Turnen und auch beim Völkerball mindestens ebenso gut wie, beispielsweise, die Gerta Hoffmann oder der Herbert Löwit.
Und das ist eigentlich sehr viel mehr, als man jemals für möglich gehalten hätte. Findet ihr das nicht auch?
Der Tintenteufel
Einmal gab es in Herrn Klingsors Klasse großen Ärger, weil in der Aufsatzstunde alle Kinder ihre Hefte ganz entsetzlich verklecksten. Sogar die Musterschülerin Lottchen Holdgrün machte an diesem Vormittag einen dicken Tintenklecks in ihr Aufsatzheft. Darüber erschrak sie so sehr, dass sie bitterlich zu weinen anfing. Denn dies war der erste Tintenklecks, den es jemals in einem von Lottchens Schulheften gegeben hatte. Und was für ein Klecks das war!
Nun, der Herr Lehrer Klingsor hätte nicht der Herr Lehrer Klingsor sein dürfen, wenn er nicht versucht hätte das arme Mädchen zu trösten.
»Na, na«, meinte er. »Wer wird denn gleich heulen, Lottchen! Es könnte ja sein, dass du gar nichts dafür kannst.«
»Oh doch, Herr Lehrer«, schluchzte das Lott-chen. »Ich habe doch selbst gesehen, dass ich es gewesen bin, die den Klecks gemacht hat. Hu-hu-hu-huuu!«
»Das kann man nie wissen«, erwiderte der Herr Klingsor. »Es könnte ja sein, dass wir zufällig einen Tintenteufel in der Klasse haben ...«
»Einen Tintenteufel?«, fragte der Hugo Hampel ungläubig. »Was Sie nicht sagen, Herr Lehrer!«
»Doch, doch«, erwiderte der Herr Klingsor. »Je länger ich mir die Sache überlege, desto klarer wird mir das alles ... Tatsächlich, Kinder - wir haben einen Tintenteufel in der Klasse, das muss der Grund sein!«
»Und?«, wollte Paulchen Knobloch wissen. »Lässt sich denn gegen Tintenteufel nichts machen, Herr Lehrer?«
»Versuchen wir's!«, antwortete der Herr Klingsor und klatschte drei Mal leicht in die Hände. Aber er klatschte natürlich so, wie nur Zauberer klatschen können.
Was meint ihr wohl, was geschah?
Plötzlich stieg aus Lottchen Holdgrüns Tintenfass ein winziges blaues Männlein heraus und watschelte auf seinen nackten blauen Füßen quer durch das Schulzimmer nach vorn, zu Herrn Klingsor ans Lehrerpult.
Und wer war das Männlein?
Alle sechsunddreißig Schulkinder sahen auf den ersten Blick, dass das blaue Männlein nichts anderes sein konnte als ein
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