Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)

Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)

Titel: Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Henner Hess
Vom Netzwerk:
Taschentuch, mit dem der Landrat den Körper seiner Frau bedeckt hatte. Er tat es achselzuckend in eine kleine Tüte und reichte es einem KTU -Beamten mit den Worten: »Was wir haben, das haben wir!«

II
    In den nächsten Tagen fühlte sich der Fickel ein bisschen unwohl. Außerdem hatte er so ein leichtes Kratzen im Hals bekommen, weshalb er prophylaktisch lieber zu Hause blieb, das heißt: überwiegend auf seinem Gartengrundstück, und das milde Frühlingswetter genoss. Dank der Kochkünste seiner Vermieterin, der rüstigen Frau Schmidtkonz, die ihm das Mittagessen sogar in die Datsche lieferte, kam der Fickel jedoch bald wieder auf die Beine. Am Mittwoch vor Christi Himmelfahrt, also etwa eine Woche nach dem Mord an der Richterin Kminikowski, der die ganze Stadt in Aufregung versetzt hatte, erschien der Fickel dann wieder zu gewohnt später Stunde auf der Arbeit – oder vielleicht sogar noch ein bisschen später als sonst, weil er vorher noch einen neuen Grill für die am nächsten Tag anstehende Gartenparty besorgen musste, die er wie jedes Jahr auszurichten beabsichtigte.
    Das neue Justizzentrum an der Lindenallee nördlich des Englischen Gartens ist, natürlich neben dem weltberühmten Theater, der Stolz der Stadt Meiningen. Es bündelt nicht nur Amts-, Land-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit für ganz Süd- und Südwestthüringen, sondern beheimatet zudem auch noch die Staatsanwaltschaft nebst angeschlossener Polizeidienststelle. Das Justizzentrum befindet sich in der ehemaligen Hauptkaserne des I . und II . Bataillons des ruhmreichen 2. Thüringischen Infanterieregiments Nummer 32, einem mächtigen Backsteinbau aus dem Jahr 1867, der viele Jahre später das noch ruhmreichere 117. Mot.-Schützenregiment der 8. sowjetischen Gardearmee beherbergt hatte und nach dem Erwerb durch den Freistaat Thüringen für die Bedürfnisse der Justiz aus- und umgebaut worden war. Wegen der militärischen Vorgeschichte des Areals pflegte der Fickel, wenn er zur Arbeit ging, zu sagen: »Ich ziehe in den Krieg.«
    Als er an diesem Mittwoch gegen elf Uhr endlich im Gericht angekommen war, wunderte er sich zunächst über die ganzen Blumen, Kerzen und Stofftiere am Portal. Sein Freund, der Justizwachtmeister Rainer Kummer, der zufällig Dienst an der Pforte hatte, klärte ihn jedoch schnell darüber auf, dass ständig Leute kamen, die am Schicksal der Richterin Kminikowski Anteil nahmen und dies mit jeder Art von Devotionalien ausdrückten. Die Andachtsecke wurde von der Gerichtsleitung nicht nur geduldet, sondern die Bevölkerung wurde geradezu zum Kondolieren eingeladen. Allerdings hatte inzwischen eine Vermüllung eingesetzt, die dem eigentlichen Ansinnen des Gedenkens entschieden zuwiderlief. Auf dem Hof des Justizzentrums waren die thüringische Landesfahne und die Bundesflagge sowie das Europabanner auf Halbmast gehisst. Wie der Justizwachtmeister Rainer Kummer ebenfalls zu berichten wusste, hatten sämtliche Gerichte und Behörden der Stadt Meiningen am Dienstag um zwölf Uhr sogar eine Schweigeminute abgehalten. In dieser einen Minute hatten alle Streitigkeiten und Verwaltungsvorgänge geruht. Und wie Rainer Kummer kritisch hinzufügte: »Damals, als der Kollege Kissner bei der pflichtgemäßen Ausübung seines Dienstes von dem geistig verwirrten Hartz- IV -Empfänger im Verwaltungsgericht erstochen wurde, da hat es nicht so ein Brimborium gegeben.« Da meinte der Fickel, das könnte vielleicht was damit zu tun haben, dass der Kissner kein Richter, sondern ein einfacher Justizwachtmeister und außerdem nicht mit dem Landrat verheiratet gewesen war.
    Als der Fickel endlich im architektonisch weitaus weniger attraktiven Neubautrakt anlangte, in dem sich unter anderem die Geschäftsstelle des Amtsgerichtes befand, waren natürlich schon sämtliche Prozessvertretungsaufträge vergeben. Ganz offenbar war der Konkurrenzdruck unter den Anwälten inzwischen selbst bis in die Niederungen der Terminhurenbranche durchgeschlagen. Doch so leicht lässt sich ein Fickel nicht abwimmeln. Er hat da nämlich so einen kleinen Kalender, in dem er immer gewisse Daten notiert. Und dann bringt er den Rechtshelferin Nicole und der Sekretärin Therese immer Pralinen zum Geburtstag und Blumen oder auch mal ein Fläschchen Sekt zum internationalen Frauentag mit. Kurz, der Fickel ist bei den Damen in der Geschäftsstelle nicht direkt unbeliebt, auch, weil er gern mal ein Schwätzchen hält und nicht so hochnäsig ist, wie die meisten Juristen.

Weitere Kostenlose Bücher