Herrgottschrofen
kannst gehen und die Fensterläden weiterschleifen. Mittlerweile bist du ein paar Wochen mit der Miete im Rückstand.«
»Morgen, okay?«
»Morgen ist Sonntag, da wird nicht gearbeitet.«
»Heute ist Sabbat, da arbeiten manche auch nicht. Und andere machen am Freitag die Geschäfte zu.«
»Und ganz andere sind vom Knochen weg arbeitsscheu, wie zum Beispiel unser Herr Hartinger. Im Ernst, wenn du jetzt nicht sofort da rausgehst und den ganzen Nachmittag schleifst, kannst du dir einen anderen Unterschlupf suchen. Wär eh das Beste. Wie wär’s mit einem neuen Kontinent? Was glaubst du, was der Anton sich in der Schule anhören muss. Jetzt, da jeder im Ort weiß, wer sein Vater ist und was der so treibt. Wegen mir wär’s mir ja wurscht.«
»Ich war ja auf dem Weg auf einen anderen Kontinent …«
»Jetzt red keine Opern. Raus auf den Hof mit dir. Um vier gibt’s Kuchen, da kommt dann auch der Onkel Albert. Dann könnts wieder Detektiv spielen. Hat ja bisher wahnsinnig toll funktioniert. Bis dahin werden Fensterläden geschliffen. Basta.«
Hartinger hatte dem nichts mehr entgegenzusetzen. Er trollte sich aus der Küche und schlich in den Hof, um seine vor drei Wochen liegen gelassene Arbeit wieder aufzunehmen. Er stellte die beiden Böcke nebeneinander, legte einen Laden darauf und schnitt ein Schmirgelpapier zurecht, dann fuhr er damit zwischen die Lamellen.
Schon kurz nachdem er angefangen hatte, verspürte er alle paar Minuten den Drang sich umzudrehen, weil er glaubte, dass ihn jemand beobachtete. Er hatte dieses Gefühl, das man verspürt, wenn einem zwei Augen Löcher in den Rücken starren. Doch immer, wenn er sich wie beiläufig zum Schuppen oder dem angrenzenden Wald umblickte, war da nichts. War er nach drei Wochen Knast die Freiheit nicht mehr gewohnt? War er paranoid geworden?
Beim vierten Mal, als ihn das seltsame Gefühl beschlich, drehte er sich vorsichtig um, ging zum Schuppen und tat so, als suchte er ein Werkzeug. Durch ein Astloch in einem der Bretter schaute er nach draußen. Da – unter der Fichte, die dem Schuppen am nächsten stand, hatte sich doch gerade etwas bewegt. Er hatte doch etwas Helles aufblitzen sehen. Ein Gesicht? War da ein Mensch? Oder ein Tier? Oder war es nur Einbildung?
Er nahm eine Rohrzange aus dem Regal und schob sie in den linken Hemdsärmel, ging dann zurück zu den beiden Böcken und arbeitete weiter. Der Beobachter, wenn er denn da unter dem Baum in dreißig Metern Entfernung saß, sollte sich in Sicherheit wiegen. In ein paar Minuten würde Hartinger einen Überraschungssprint in genau diese Richtung einlegen.
Er unterdrückte den Zwang, aus den Augenwinkeln zur Fichte hinüberzublicken. Er schmirgelte und schmirgelte. Dann drehte er den Laden um und schliff auf der Rückseite weiter.
Nach ein oder zwei Minuten ging er auf das rechte Knie und tat so, als müsste er sich den linken Schnürsenkel fester binden. Dabei wandte er sich der Fichte zu, unter der er den Beobachter vermutete.
Und aus dieser Position startete Hartinger wie ein Hundertmeterläufer.
Er flitzte auf den Baum zu und erreichte ihn in vier Sekunden, wobei er die Rohrzange aus dem Ärmel rutschen ließ. Er hielt sie wie Conan der Barbar sein Schwert, zum Schlag bereit.
Unter den unteren Ästen, die bis zum Boden hingen und beinahe ein perfektes Zelt bildeten, war nichts. Zumindest kein Mensch. Hartinger war sich aber sicher, dass dort vor Kurzem jemand gehockt hatte. Er zog die Luft tief durch die Nase ein – und wusste, dass er sich nicht getäuscht hatte. Es war ein Geruch.
Am Boden fand er fünf Zigarettenkippen. Der Aufdruck über dem Filter wies sie als Zigaretten der Marke West aus. Hartinger hob eine von ihnen auf und roch daran. Die gepresste Baumwolle des Filters roch penetrant nach Aschenbecher. Diese Kippen hatte jemand erst in den letzten Stunden oder gar Minuten ausgetreten. Und dieser Jemand hatte ihn beobachtet. Oder das Haus. Kathi. Seinen Sohn Anton. Seine Familie!
Er kroch unter den Ästen hervor und starrte in den Wald. Nichts Auffälliges war zu sehen. Keine Bewegung. Hartinger langte in die Hosentasche und zog ein Taschentuch heraus, in das er die Kippen wickelte.
Martin Bruckmayer und Albert Frey aßen mit großer Begeisterung die von Martin Bruckmayers Haushälterin aufgetischte Sachertorte.
Jo Saunders aber ließ den Kuchen unberührt. Sie hatte etwas Wichtiges mitzuteilen. »Meine Herren, ich habe eine Entscheidung getroffen. Ich werde abreisen.«
Die
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