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Herrgottschrofen

Herrgottschrofen

Titel: Herrgottschrofen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Ritter
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zusehends auf. Natalie Berchtenbreiter wusste nicht, ob das die Chancen für den vierwöchigen Urlaub steigen oder sinken ließ. Dann kniff ihr Vorgesetzter die Augen zusammen. »Kreizkruzifix! Schädel- und Beckenknochen vollständig abgängig«, schimpfte er. »Was soll das heißen?«, blaffte er Berchtenbreiter an, als hätte sie den Kopf der Leiche verschlampt.
    »Dass Schädel und Becken noch draußen am Herrgottschrofen liegen?«, antwortete die Polizistin zögernd.
    »Das wär ja was. Dann kann er’s vergessen. Aber komplett.«
    »Was kann wer vergessen, Herr Hauptkommissar?«
    »Äh, nur so ein Gedankenspiel. Tut nichts zur Sache. Was hatten Sie noch? Den Antrag? Urlaub? Geben Sie her.«
    Ohne den Inhalt des Formulars genauer zu studieren, zeichnete Bernbacher das Formular ab. »Machen Sie hinter sich zu, ich muss telefonieren. Und behaltens das mit dem Schädel und dem Becken für sich.«
    »In Ordnung, Chef. Und vergelt’s Gott für den Urlaub.«
    »Wie? Ja, passt scho.«
    Bernbacher drückte eine Kurzwahltaste an seinem Telefon, während Natalie Berchtenbreiter die Tür leise von außen zuzog und draußen einen kleinen Luftsprung machte. Vier Wochen inklusive Neujahrsskispringen war sie beurlaubt – das würde ihr keiner glauben. Und es war sicher auch besser, wenn sie es den Kolleginnen und Kollegen nicht gleich auf die Nase band.
    Auf der anderen Seite der Bürotür bekam Bernbacher seinen gewünschten Gesprächspartner an den Apparat. »Ja, Hansi, ich bin’s wieder. Ergebnisse sind da. Gute und schlechte Neuigkeiten.« Bernbacher fasste den Bericht für den Ersten Bürgermeister Hans Wilhelm Meier zusammen.
    »Ja mei, weg is weg, oder?«, äußerte der sich zu den fehlenden Skelettteilen. »Ich geh davon aus, dass die Leiche vor über fünfzig Jahren dort verscharrt wurde. Wahrscheinlich gefallener Soldat, Weltkrieg zwo. Die Knochen hat irgendein Viech verzogen. Also kein Problem für den Ministerpräsidenten, da draußen den Tunnelanstich zu eröffnen, also zu feiern, du weißt schon. Hast die Pressemitteilung schon fertig?«
    »Ich hab die Ergebnisse vor drei Minuten erhalten.«
    »Dann weißt ja, was du die nächste Viertelstunde machst. Ich auch. Ich ruf in der Staatskanzlei an. Der kommt am Mittwoch da raus, ich schwör’s dir, Ludwig.«
    Bernbacher stieß ein resigniertes Seufzen aus. »Wenn’s sein muss, Hansi.«
    »Es muss. Aber pass bitte auf, dass nicht wieder einer quer-kommt. Der Hartinger, zum Beispiel, die Nervensäge, die elende. Kannst den nicht, sagen wir, in Schutzhaft nehmen?«
    »Hansi, wir sind nicht im Wilden Westen. Da bräuchte ich schon einen Anfangsverdacht oder Gefahr im Verzug oder so was. Aber seitdem der Hartinger nicht mal mehr säuft, was willst dem da groß anhängen? Dass er ohne Licht radelt? Beugehaft, bis er den Dynamo anschaltet? Wenn ich das bei jedem mach, ist das Tal leer.«
    »Brauchst es nicht bei jedem machen. Nur beim Hartinger. Dir fällt schon was ein. Ich will den auf alle Fälle nicht am Mittwoch da in der Nähe des MP herumspringen haben. Ist ja ein Sicherheitsrisiko erster Güte, der Mann.«
    »Der MP?«
    »Naa, der Hartinger, Depp!«
    Hans Wilhelm Meier blickte zufrieden aus seinem Bürofenster im ersten Stock des Garmisch-Partenkirchner Rathauses über den Rathausplatz hinüber zur Rathauskreuzung, auf der sich in alle vier Richtungen der freitagnachmittägliche Feierabendverkehr staute. Die Kreuzung bot sein persönliches Lieblingspanorama des Postkartenortes, für dessen Wohl und Wehe er verantwortlich zeichnete. Auch wenn der Verkehrsknotenpunkt selbst nicht gerade ein Fotomotiv war mit den Zigtausenden von Fahrzeugen, deren Fluss sich an diesem Engpass zu regelmäßigen Infarkten zusammenklumpte.
    Hans W. Meier sah im pulsierenden Verkehr Bewegung, Dynamik, Wirtschaftskraft. Hätte er Bürgermeister eines ruhigen und beschaulichen Marktfleckens werden wollen, wäre Garmisch-Partenkirchen sicher nicht seine erste Wahl gewesen. Zudem wusste er: Dieser Verkehrsstrom, der wie in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker anwachsen würde, musste irgendwann in einem Tunnel verschwinden. Genauer in zweien. Hier auf der Partenkirchner Seite im Wanktunnel und drüben auf der Garmischer Seite im Kramertunnel. Und Tunnel waren eindeutige Signale, dass tatkräftige Politiker an den Schalthebeln saßen.
    Irgendwann würde vielleicht einer dieser beiden Tunnel, die der Talkessel so dringend brauchte, sogar seinen Namen – oder notfalls den seiner Frau

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