Herrgottschrofen
hinein.
Tatsächlich Gulasch, wie Hartinger im Vorbeigehen zufrieden feststellte.
»Und von Nächten in Garmisch-Partenkirchner Polizeizellen«, setzte Albert Frey nach.
Hartinger war mitten in ein Kreuzfeuer geraten. Eine Situation, in der er nur verlieren konnte. Zum Weglaufen war es aber zu spät. Es half nichts. Der schnellste Weg durch die Gefahrenzone war, alles offen und so detailgetreu wie möglich zuzugeben, den Kopf einzuziehen und den Tadel wie ein Sommergewitter vorbeiziehen zu lassen.
Er setzte sich Albert Frey gegenüber an den Tisch und begann zu erzählen. Von den Knochen. Was er von Svetlana gewollt hatte. Dass da etwas gehörig faul war. Dass wohl die große Politik im Spiel war. Und von Überbeinen berichtete er. Nur von Dr. Dorothee Allgäuer erzählte er nichts, diese Quelle umschrieb er mit »die von der Gerichtsmedizin«.
»Eisläuferinnen?« Bei der Erwähnung dieser Vermutung wurde Albert Frey hellhörig. Als Heimatforscher wusste der pensionierte Oberstudienrat über jeden Aspekt der Garmisch-Partenkirchner Geschichte Bescheid. »Ende der Vierziger, Anfang der Fünfziger. Ja, das macht durchaus Sinn. Schon mal etwas von Casa Carioca gehört?«
Albert Frey genoss zunächst einen weiteren Schluck Weißbier und dass er den jungen Leuten wieder einmal vorführen konnte, was sie alles nicht wussten. »Die Casa Carioca war – und ich übertreibe jetzt nicht – der Mittelpunkt der Eislaufszene in Europa, vielleicht auf der Welt. Für ein paar Jahre zumindest. Das könnt ihr euch heute gar nicht mehr vorstellen.«
»Hab ich schon mal gehört. Aber was war das gleich noch mal genau?«, wollte Hartinger wissen.
»Die Amerikaner haben nach dem Krieg Garmisch-Partenkirchen zu ihrem Vergnügungsviertel Nummer eins erklärt. Sie haben das Schneefernerhaus auf der Zugspitze zu – sagen wir – Europas höchstgelegenem Bordell gemacht. Rauschende Partys auf knapp dreitausend Metern über dem Meer. Hier im Tal haben sie ein paar Hotels gebaut, die ihr ja noch gekannt haben dürftet. Stehen größtenteils nicht mehr. Das Schmuckstück war aber die Casa Carioca.«
»Jetzt weiß ich immer noch nicht, was das ist«, meldete sich Kathi vom Herd her. Sie wischte die Hände an der Schürze ab und setzte sich ebenfalls an den blank gescheuerten Tisch. »Das Gulasch muss jetzt eh eine Viertelstunde ziehen. Also erzähl, Onkel Albert.«
»Die Casa war ein Revuepalast hinter dem Eisstadion. Im maurischen Stil gehalten, mit Zinnen und so. Vollkommener Kitsch. In der Mitte eine Kunsteisfläche, drumherum ein Restaurant, Bar und alles, was zu einem Luxusschuppen so dazugehört. Und das Wahnsinnigste daran: mit verschiebbarem Dach. Die Herren Ami-Offiziere konnten also dinieren und trinken, einer Show der weltweit besten Eistänzer zusehen und dabei den Sternenhimmel über Garmisch-Partenkirchen bewundern. Die hatte sogar einen beweglichen Boden, der über das Eis gefahren werden konnte, wenn Tanzen ohne Schlittschuhe angesagt war. Wie im Madison Square Garden. Herrschaften, im ausgebombten hungernden Deutschland 1946! Ein wahrer Tempel für Eisrevuen, wie es ihn seither nicht mehr gab. Und alle sind gekommen. Alle Eislaufstars und -sternchen aus Ungarn, Österreich, Deutschland. Und auch andere Stars. Liz Taylor, Richard Burton … Elvis! Waren in den Fünfzigern alle da.«
»Und wieso weiß das keiner mehr?«, wollte Hartinger wissen.
»Ich weiß es doch. Und die Älteren wissen es schon auch noch. Der Schuppen ist 1970 abgebrannt. Niemand weiß, warum. Aber da hatte das Ding eh schon seine beste Zeit hinter sich.«
»Und wo ein Eislaufpalast, da auch Eisläuferinnen«, kam Hartinger auf den aktuellen Fall zurück.
»Und wo besoffene Männer, da auch Vergewaltiger und Mörder«, schloss Kathi.
»Moment! Ich muss doch sehr bitten!«, warf Frey ein. »Bist du zu vorschnellen Urteilen erzogen worden?«
»Was war daran bitte vorschnell?«, wehrte sie sich.
»Hast ja recht. Liegt ja auch nahe. Zudem steht dort drüben, wo der Karl-Heinz die Knochen gefunden hat, eine Kaserne, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs von den Amerikanern genutzt wird.«
»Jetzt begreif ich auch, warum das keiner so wirklich wissen will«, sagte Hartinger nachdenklich in Richtung des Gekreuzigten, der in der Ecke über dem Esstisch sein ewiges Leben fristete.
»Na, wegen dem Tunnel halt«, sagte Kathi.
»Das dachte ich zunächst auch. Stimmt auch. Aber auch wegen internationalen Verwicklungen. Wenn da ein
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