Herrgottschrofen
sodass sie auch im Wegweiser der Bayerischen Ämter und Behörden auftauchte, setzte ihn vermeintlich gleich mit den großen Anführern, die Bayern nach dem Krieg regierten. Sie waren entweder in München geboren oder hatten sich große Mühe gegeben, wenigstens dort zu sterben.
Außerdem befand sich die Wohnung in Gehweite zur Staatskanzlei und hatte eine illustre Nachbarschaft. Viele Reiche und Superreiche gönnten sich in dem ehemaligen Franziskanerkloster ein schickes Townhouse. Dass zur Bewachung des prominentesten Mieters Tag und Nacht ein Polizeiwagen vor der Tür des Hauses stand, nahmen sie wohlwollend zur Kenntnis.
An dessen Besatzung vorbei ging der Ministerpräsident auf die Eingangstür zu und entriegelte sie mit dem Abdruck seines Zeigefingers, dann fuhr er mit dem Lift in den vierten Stock. Wie gut es tat, einmal allein zu sein. Und wenn es nur die drei Minuten Fußweg von seinem Büro hierher waren.
Er ging durch die Wohnung und freute sich, dass seine Leute alles perfekt hergerichtet hatten. Der große Tisch im Esszimmer war gedeckt, das Büfett befand sich unter Frischhaltefolie, und in der mit einem weißen Tuch halb abgedeckten und mit Eiswürfeln gefüllten Silberschale steckten Champagnerflaschen. Alles war zu seiner Zufriedenheit bestellt. Es konnte ein großer Abend werden.
Bevor der Baron und die anderen kämen, wollte er eine Dusche nehmen und sich umziehen. Die bedeutendsten deutschen Wirtschaftsführer empfing man im Dreiteiler des italienischen Schneiders, nicht im Lodenanzug.
Als er die Weste zuknöpfte, klingelte es an der Tür.
Bevor sich der Freitag ins Wochenende beugte – und das tat er in den Behörden der Marktgemeinde Garmisch-Partenkirchen mit dem Läuten der Zwölf-Uhr-Glocken –, musste Bürgermeister Hans W. Meier noch seinen Ärger loswerden. Er hatte schon in aller Herrgottsfrüh seinen Bauamtsleiter zur Schnecke gemacht, weil die ganze Stadt zum Saugrausen aussah, wie er ihn unverblümt hatte wissen lassen.
Hans W. Meier hasste das frühjährliche Straßenbild, wenn die letzten schmutzig-grauen Schneereste schmolzen und die im Eis konservierten Hundehaufen eines ganzen Winters auf den Gehsteigen herumlagen. Straßen und Wege der Marktgemeinde waren zudem immer noch mit einer dicken Schicht Rollsplitt bedeckt. Seine Frau Anni hatte sich auch schon beschwert, dass sie sich ständig ihre neuen Schuhe beim Einkaufen an den scharfen Kieseln kaputt stieß.
Doch all das war nichts, verglichen mit dem umfassenden Bürgermeistergroll, der sich in ihm angestaut hatte ob der Geheimniskrämerei des Bagger-Toni, der Knochensache samt dem Eklat mit dem Ministerpräsidenten sowie dem ungeklärten Mord an einer unbekleideten weißrussischen Sportgaststättenwirtin.
Meier griff zum Telefon und drückte die Kurzwahltaste, die eine direkte Verbindung zu dem Herrn über Sicherheit und Ordnung in seinem Landl herstellte. Als Ludwig Bernbacher abhob, raunzte Meier nur ein »Und, was Neues?« in die Leitung.
»Ja mei, Hansi, wir tun unser Möglichstes.«
»Das hab ich befürchtet. So wird das nichts. Können die Kriminaler aus Weilheim wenigstens was?«
»Der Mann geht allen Spuren nach.«
»Was soll das heißen, der Mann? Ist das nur einer?«
»Ja, der aber darf eine Soko gründen. Er wartet nur gerade auf die Freigabe der Stellen. Die in Weilheim sind auch unterbesetzt.«
»So, unterbesetzt? Die Mordkommission in Weilheim. Welche Morde haben die denn?«
»Das musst du dir anders vorstellen. Die sitzen da nicht rum und warten auf Morde. Wenn es da keine gibt, erledigen die auch andere Kripoaufgaben – Autodiebstahl, Versicherungsbetrug und so weiter. Und in Urlaub sind auch noch ein paar.«
»Die Herren Weilheimer machen Urlaub, meine Polizei kann gerade mal den Verkehr regeln, und das Image unseres wunderschönen Ortes rauscht in den Keller. Na, servus!« Der Bürgermeister brüllte gar nicht herum wie sonst. Er war echt deprimiert.
»Sie schicken schon Leute vom Präsidium Oberbayern Süd aus Rosenheim, keine Angst«, versuchte Bernbacher seinen Bürgermeister zu beruhigen.
»Großartig. Am Montag ist die Frau tot den Herrgottschrofen runtergefallen. Heute ist Freitag. Vor dem nächsten Montag wird die Soko also den Betrieb nicht aufnehmen, sehe ich das richtig?«
Bernbacher schwieg betreten. Er konnte die Dienstplanung des Präsidiums und der Weilheimer auch nicht beeinflussen.
»Und derweil rennt der Hartinger hier frei rum. Der Typ, der in beiden Fällen – bei den
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