Herrgottschrofen
Gewaltverbrechen vorliegt, und das sieht ja alles danach aus, dann eines, das das deutsch-amerikanische Verhältnis belasten kann«, erläuterte Hartinger.
»Stopp. Jetzt sind wir aber alle vorschnell, Karl-Heinz«, bremste Frey. »Musst erst einmal nachweisen, dass das ein Ami war. Waren ja auch genug andere Nationalitäten in diesem Tal seit den Fünfzigern. Vergiss nicht, das ist ein internationaler Touristenort.«
»Und Einheimische soll’s hier ja auch noch zwei, drei geben«, pflichtete Hartinger bei.
Albert Freys Augen begannen zu leuchten. »Dann machen wir uns mal an die Arbeit, Herrschaften. Wir müssen ins Archiv. Gibt es Vermisste aus der Zeit? Vermisste Eisläuferinnen?«
»Wo fangen wir an?« Hartingers Jagdtrieb bekam neuen Schub.
»Im Marktarchiv. Wobei … alte Polizeiakten gibt’s dort nicht. Die sind im Staatsarchiv und Hauptstaatsarchiv in München. Aber im Marktarchiv finden wir vielleicht Hinweise.«
»Also ich fang beim Gulasch an. Und ihr auch«, bestimmte Kathi und holte vier Teller aus dem Küchenbüfett. »Ich koch nicht den ganzen Vormittag, damit ihr jetzt wegrennt.«
»Oha, bleibt der Karl-Heinz jetzt zum Mittagessen?«, wunderte sich Albert Frey. Seine Nichte und sein Exschüler waren seit anderthalb Jahrzehnten nur noch über die Elternschaft miteinander verbunden.
»Bleibt schon genug für dich, Onkel Albert. Außerdem muss der Herr Hartinger mir dafür hernach das verstopfte Waschbecken im Bad reparieren. Da hilft kein Pümpel nimmer.«
Hartinger wurde schwummrig.
»Aber der Abort geht?«, fragte Frey. »Weil bevor wir essen, müsst ich mal …« Nachdem kein Einwand der Hausherrin kam, verschwand Albert Frey aus der Küche in Richtung Toilette.
Draußen schepperte das Mountainbike des Juniors an die Türe des Schuppens.
Hartinger erinnerte sich daran, warum er hier heraufgekommen war. »Äh, was ich dich eigentlich fragen wollte, Kathi … Oder … lieber später.«
Sie drehte sich vom Herd in seine Richtung und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Sie haben dich also rausgeschmissen«, sagte sie ihm auf den Kopf zu.
»Woher weißt du das?«
»Ist ja nicht so schwer zu erraten. Hätt ich auch getan. Ich hab im Fernsehen gesehen, wie du dich da drüben mit dem Ministerpräsidenten aufgeführt hast.«
»Wenn ich vielleicht die paar Monate, bis ich was gefunden hab, den Unterhalt schuldig bleiben könnte …?«
»Sonst bist du aber noch gesund? Meinst, mir wächst das Geld aus der Kittelschürze?«
»Ich weiß echt nicht, wo ich’s hernehmen soll.«
»Na toll. Und deine Miete, wie bezahlst du die?«
»Das wollt ich eigentlich auch mit dir besprechen. Weil Platz hättest du ja …« Weiter kam Hartinger nicht.
»Du? Hier? Bei mir? Jetzt wird’s hinten höher wie vorn!«, rief sie empört. »Das muss ich mir gut überlegen. Wenn, dann nur wegen dem Buben. Dann sieht der dich wenigstens ein paar Mal öfter.«
In dem Moment ging die Küchentür auf, und Anton betrat die Küche. »Papa!«
Vater und Sohn fielen sich in die Arme, und Kathi sah die Freude auf dem Gesicht ihres Sohnes. »Von mir aus. Aber nur auf Zeit. Und auf dem Dachboden. Ich will wenigstens ein leeres Stockwerk zwischen dir und mir haben.« Sie wischte sich die Hände energisch an der Schürze ab. »Und abarbeiten tust du die Miete, damit wir uns da gleich richtig verstehen. Das Haus muss eh neu gestrichen werden, und der Zaun ist hin.«
Da wusste Hartinger, dass das eine ganz schlechte Idee gewesen war, die ihn nach Graseck geführt hatte.
Das Treffen war so geheim, dass sogar die Fahrer und Sicherheitsleute freibekamen. Natürlich folgte dem Ministerpräsidenten dennoch einer der Personenschützer des Landeskriminalamts, als er im Schatten der Häuser zu seiner Stadtwohnung auf der anderen Seite des Franz-Josef-Strauß-Ringes ging, mit hochgeschlagenem Mantelkragen, damit ihn auch niemand erkannte. Nicht dass er Angst vor seinen Bürgern gehabt hätte. München war eine der sichersten Städte der Welt. Aber er wollte nicht auf eines der vielen großen und noch mehr kleinen Probleme angesprochen werden, die sein Land derzeit zwickten. Bayerns starker Mann schlief im luxussanierten ehemaligen Kloster St. Anna, wenn er nicht nach Hause in seine niederbayerische Heimat Osterhofen fuhr. Er war der erste Ministerpräsident, der aus dem bevölkerungsarmen östlichen Teil des Bayernlandes kam. Die Privatadresse St.-Anna-Viertel im Münchner Lehel, die er auf allen offiziellen Formularen angab,
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