Herrgottschrofen
wäre das falsche Entrée gewesen. Er hätte bei den BILD-Leuten den Ruf als schmutziger Leichenfotograf weggehabt. Nicht dass die grundsätzlich etwas gegen solche Kollegen gehabt hätten. Aber den Aufkleber wäre Hartinger so schnell nicht mehr losgeworden. Er hätte weitere Leichen liefern müssen, Unfalltote, Suizidenten, am besten Opfer von Gewaltverbrechen. Doch Tote hatte er während der letzten zwanzig Jahre genug gesehen. Davon wollte er weg. Davon musste er weg, wie ihm seine Therapeutin erklärt hatte.
Hartinger ging durch den kalten Morgen zur Fußgängerzone. Er wollte in das Café am Mohrenplatz, in dem er vielleicht einen Bekannten traf, den er nach einem Job fragen konnte. Straßenkehren, Klos putzen, beim Schnellamerikaner an der Fritteuse schuften … Alles ehrenwerte Tätigkeiten, dachte er sich. Auch Regale einräumen im Supermarkt oder Tellerwaschen in einem der vielen Hotels im Tal kam infrage. Nur, diese Niedriglohnjobs würden ihm nicht wirklich helfen. Denn außer seiner Miete und den Lebenshaltungskosten war da noch der Unterhalt für den Buben.
Der Gedanke an seinen Sohn brachte ihn auf die nächste Idee: Das Zimmer bei Frau Schnitzenbaumer aufgeben und bei der Kathi oben in Graseck einziehen. Auch kein wirklicher Ausweg. Hörte sich leicht an, aber das war es nicht wirklich, mit der Kindsmutter und dem Buben unter einem Dach. Blieb das Sozialamt. Hartzen? Nein, vom Staat wollte er bestimmt nichts. Dann doch lieber bei der Kathi zu Kreuze kriechen. Na ja, so ganz schlecht wäre es da oben nicht. Und das Haus war groß genug. Da musste man sich ja nicht ständig über den Weg laufen.
Je länger er darüber nachdachte … Er konnte es zumindest versuchen. Wahrscheinlich würde sie ihn sowieso hochkant rauswerfen. Wenn er ihr erzählte, dass er auch noch den Job beim Tagblatt verloren hatte, würde sie ausflippen.
Egal. Einen Versuch wollte er unternehmen. Vielleicht war es eine schlechte Idee, aber das konnte er nur herausfinden, wenn er es probierte.
Also sparte er die Zwoachtzig für den Kaffee, machte kehrt und ging zurück zum Volvo, der noch auf dem Parkplatz der Zeitung stand. Er legte die Fototasche in den Kofferraum und startete in Richtung Graseck.
Hartinger traute seinem altersschwachen Volvo nicht zu, dass er die Steigung nach Graseck hinauf schaffte. Er parkte vor der zerfallenen Pension Partnachklamm und überlegte, ob er zu Fuß aufsteigen oder die winzige Selbstbedienungs-Bergbahn nehmen sollte. Dann erinnerte er sich daran, dass er sich im Sparmodus befand. Die sechs Euro für die Berg- und Talfahrt in der ältesten Kleinkabinenbahn der Welt blieben in seiner Tasche. Zusammen mit dem nicht getrunkenen Kaffee eben hatte er damit bereits den Stundenlohn eines Joghurtbechereinräumers auf die Seite gebracht. Außerdem würde ihm der Aufstieg guttun. Zum Joggen war er seit Tagen nicht gekommen.
Zwanzig Minuten später kam er verschwitzt am Mittererhof an. Seit Kathis Eltern gestorben waren, lebte sie in dem riesigen Haus allein mit dem Buben. Aus dem Küchenfenster wehte ein herrlicher Geruch. Geröstete Zwiebeln, Paprika, Kümmel. Er tippte auf Gulasch. Dass die Kathi nur für den Buben und sich selbst an einem Wochentag so einen Aufwand trieb?
Er klopfte an der Haustüre und trat ein. Die schwere Holzpforte war tagsüber nie verschlossen. Als er im Hausflur nach links in die Wohnküche abbog, fand er nicht nur die Mutter seines Kindes am Herd, sondern auch deren Onkel Albert am Esstisch im Herrgottswinkel hinter einem frisch eingeschenkten Weißbier.
»Oha. Familienversammlung«, sagte Hartinger. »Komme ich ungelegen?«
Kathi schaute nur ganz kurz nach rechts zur Küchentür und vertiefte sich dann wieder in ihre Arbeit. »Der Herr Hartinger schaut doch nicht etwa nach seiner Nachkommenschaft? Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Aber du solltest wissen: Dein Sohn ist mittlerweile vierzehn und geht in die Schule. Um zwölf ist der noch nicht da.«
»Dann komm ich später wieder.« Den eigentlichen Grund seines Besuchs wollte Hartinger vor Albert Frey nicht offenlegen.
»Nichts da, Karl-Heinz Hartinger. Setz dich«, kam es vom Esstisch. Dem Willen des Oberhaupts der spärlichen Restfamilie der Mitterers und Freys musste sich Hartinger beugen, zumal dieser Mann vor vielen Jahren einmal sein Lieblingslehrer gewesen war. »Du hast uns sicher Interessantes zu berichten.«
»Von aufgespießten Nackerten zum Beispiel«, sagte Kathi in den großen Topf
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