Herrgottschrofen
sein.
Wie eine Gebetsmühle antwortete Jürgen Hanhardt darauf: »Nehme ich zur Kenntnis. Aber die Wahrscheinlichkeit geht gegen null, dass in der Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilian-Universität jemand einen solchen Fehler macht. Und absichtliches Mauscheln an Beweisen in einem Kapitalverbrechen wollen Sie doch nicht unterstellen, Herr Doktor. Das bekommen Sie vor einem Strafgericht nicht durch.«
Hartinger wusste selbst, dass die Indizien gegen ihn sprachen. Kein Staatsanwalt dieser Welt – und schon gar kein bayerischer – würde so etwas auf einem rechtsmedizinischen Institut, das ja seine Behörde mit den allerwichtigsten Informationen versorgte, sitzen lassen. Und kein Richter würde die Indizienkette, die Hanhardt zusammengetragen hatte, durch die Geschichte des Samenraubs angegriffen oder sogar gesprengt sehen.
Schließlich – und darauf spekulierte wohl Dr. Mertens – mussten aber die Polizei und die Staatsanwaltschaft einen eindeutigen Beweis für die Freitagnachmittag-These erbringen. Und der war nirgends zu erkennen. Denn sollte Hartinger tatsächlich mit dem Opfer geschlafen haben, hätte das ja auch in der Nacht von Donnerstag auf Freitag, nach ihrem gemeinsamen Besuch des John’s Club, geschehen sein können. Und danach war Svetlana Ryschankawa ja noch einmal gesehen worden. Sie hatte am Freitagvormittag wie üblich die Eisstockhütte aufgesperrt, bewirtschaftet und gegen zwölf Uhr die Schlüssel ihrer Schwägerin übergeben. Dafür gab es mehr Zeugen, als nötig gewesen wären.
Hartinger hätte also von Dr. Mertens aus ruhig zugeben können, dass er in der Nacht von Donnerstag auf Freitag Geschlechtsverkehr – ungeschützten Geschlechtsverkehr – mit dem späteren Opfer gehabt hatte. Dies wäre nach seiner Lagebeurteilung die eleganteste Lösung. Hartinger würde dann mit einiger Wahrscheinlichkeit mangels Beweisen freigesprochen werden und die bayerische Justiz nicht in den Verdacht geraten, dass schlampig ermittelt oder untersucht worden war oder gar dass hinter den Kulissen Beweise geschoben worden waren.
Doch so, wie Dr. Mertens seinen Mandanten kennengelernt hatte, und nach dem, was er vorher schon aus seinen Quellen über ihn erfahren hatte, war der für einen solchen Deal nicht zu haben. Ein Freispruch zweiter Klasse kam für Hartinger nicht infrage. Er wollte einen Freispruch mangels Verdachts oder, besser, dass das unselige Ermittlungsverfahren gegen ihn sofort eingestellt wurde. Auch das sagte Hartinger im Zehn-Minuten-Takt.
An diesem Donnerstagmorgen blieb Dr. Mertens nach der Vernehmung noch eine halbe Stunde lang bei Hartinger und teilte ihm die Entscheidungen der Staatsanwaltschaft und des Haftrichters mit:
Besuch von Katharina Mitterer – abgelehnt, Verdunklungsgefahr!
Umschluss mit anderen Häftlingen – abgelehnt!
Besuch des Leseraumes der Anstalt – eine Stunde pro Tag gestattet!
Verrichtung von selbstständiger Arbeit – grundsätzlich gestattet!
»Damit werden wir eine zweite Stunde im Leseraum heraushandeln, denn Sie müssen ja lesen und schreiben, und das können Sie am besten im Leseraum«, erläuterte Dr. Mertens. »Wollen Sie an der Gemeinschaftsverpflegung teilnehmen oder sich von außen beliefern lassen? Das dürfen Sie als Untersuchungsgefangener.«
Hartinger dachte nach. Nach zwei Tagen Anstaltsessen wäre eine Pizza vom Italiener um die Ecke schon was gewesen. Aber erstens konnte er sich das nicht leisten, und zweitens hoffte er, durch Minimalernährung ein paar Kilo zu verlieren. »Ich esse mit den anderen. Darf ich zum Sport? Gewichtheben würde ich gern.«
»Sind Sie sicher? Ich schreibe es in meine Anträge heute rein. Gegen das Besuchsverbot von Frau Mitterer lege ich Beschwerde ein. Noch was? Dann bis morgen, Herr Hartinger.«
Nachdem der Anwalt gegangen war, wurde Hartinger in seine Zelle zurückgebracht. »Ich würde gern eine Stunde in den Leseraum gehen«, sagte er zu dem Vollzugsbeamten.
Der schaute die richterliche Genehmigung, die Hartinger ihm zeigen wollte, nicht einmal an. »Morgen vielleicht. Das hier ist kein Hotel, Hartinger.«
Kapitel 7
Albert Frey war außer sich. Allerdings vor Begeisterung.
Er bremste den alten Passat vor dem Schuppen ab, dass die blockierenden Räder auf dem Kies einen halben Meter weit rutschten, bevor der Wagen zum Stehen kam. Er sprang aus dem Auto und stürmte auf die Eingangstüre des Mittererhofs zu.
»Sie kommt!«, rief er in den Flur, damit Kathi es auch hörte, ganz egal, wo im Haus sie
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