Herrgottschrofen
etwas gestohlen haben? Davon sieht man doch nichts.«
»Leider. Es ist nur ein Indiz. Uns reicht es, aber einem Staatsanwalt sicher nicht. Wir müssen dieses Bild vergrößern und schauen, ob wir dann mehr erkennen können. Der Ausdruck ist schlecht, am Bildschirm sieht man da schon ein paar Details mehr. Kein Gesicht oder so etwas. Aber es ist der einzige Strohhalm, nach dem wir greifen können.«
»Schade, dass wir nicht bei CSI Miami sind. Die würden da gleich eine 3-D-Animation anfertigen und genau wissen, wer’s war.«
»Schade, dass wir wo nicht sind?«
»Ach, Onkel Albert, du hast ja keinen Fernseher. Vergiss es.«
Christina Mauereder klopfte an der Bürotür ihres Chefs.
»Herr Bürgermeister, auch keinen Kuchen heute?«, fragte sie, noch immer erstaunt, in den Raum hinein.
Bereits das traditionelle freitägliche Weißwurschtfrühstück um zehn mit allen Behördenleitern hatte der Bürgermeister ausfallen lassen. Zum ersten Mal seit zwölf Jahren, wie sich seine Sekretärin zu erinnern glaubte.
Er habe zu tun, grummelte er auch diesmal wieder und sah nicht von seinem Laptop auf. Und zum Mittagessen war er auch nicht gegangen.
Seit dem Vortag ging das schon so. Alle Termine, die nicht unbedingt stattfinden mussten, hatte sie für ihn verschieben müssen. Bürgermeister Meier surfte wie ein Besessener durch das Internet. Und er druckte jede Menge Papier aus. Alle Viertelstunde, so hatte er angewiesen, sollte ihm Christina Mauereder den neu angesammelten Papierstapel ins Büro bringen.
Seit gestern hatte sie schon zwei Mal fünfhundert Blatt Druckerpapier nachlegen müssen. Und einmal die Kartusche gewechselt. Natürlich schaute sie immer kurz auf die Blätter, die der Chef da fabrizierte. Es ging um Dioxin, um verpresstes Kohlendioxid, um Methan, um Fluorchlorkohlenwasserstoffe, um Gold, Silber, Diamanten, um Senfgas, Chlorgas, andere Kampfmittel, biologische Kampfstoffe, Sprengstoffe, Impfstoffe … Alle paar Viertelstunden fiel ihm ein anderes Thema ein, zu dem er das halbe Internet ausdruckte. Zuletzt hatten Themen wie Vorratsdatenspeicherung, Datenschutz und Geheimdienste sein Papierwerk bestimmt.
Wenn der so weitermacht, dachte sich Christina Mauereder, konnte sie den pünktlichen Feierabend vergessen. Und das am Freitag! Doch im Moment schöpfte sie Hoffnung. Seit einer halben Stunde hatte der Drucker keinen Datennachschub mehr bekommen und war verstummt.
»Jetzt hab ich’s!«, hörte sie schließlich den Bürgermeister hinter der verschlossenen Tür brüllen. Dann meldete er sich auf Christina Mauereders Telefon. »Holens mir den Brechtl Toni ans Rohr. Egal, wo er gerade ist. Und mit wem. Ich muss ihn sprechen. Jetzt!«
»Kommens ruhig rein in die gute Stube, mein lieber Herr Brechtl!«, schallte der Bass des Hausherrn durch die halb geöffnete Tür. Die Zirbelstube der Münchner Staatskanzlei einmal persönlich betreten zu dürfen, das war die Erfüllung des Lebenstraums für parteitreue Bayern wie Anton Brechtl. Und er wurde auch noch vom Ministerpräsidenten persönlich ins Allerheiligste hineingebeten. Wie ein alter Spezl.
Nun, das würde er ja auch bald sein, wie er hoffte. Die Zirbelstube hatte zwar mit guter Stube und Gemütlichkeit so viel zu tun wie ein Andenkondor mit einer Alpendohle, aber Brechtl wusste, hier wurden die wirklich wichtigen Staatsgäste empfangen. Und die wirklich wichtigen Dinge besprochen. Dachte er zumindest, denn die wirklich entscheidenden Dinge wurden in Wahrheit in der Stadtwohnung des Ministerpräsidenten zweihundert Meter Luftlinie entfernt ausgekartelt. Aber das wussten die allerwenigsten.
»Was darf’s sein, Herr Brechtl? Ein Weißbier geht schon am Freitagnachmittag um halb drei, oder?« Mit diesen Worten wies der Gastgeber dem Bagger-Toni einen Platz neben sich auf der Eckbank zu.
In der Tür erschien eine Bedienstete der Staatskanzlei in einem schwarzen Rock, weißer Schürze und ebensolchem Häubchen. Sie schien direkt der TV-Werbung eines bekannten Münchner Kaffeeherstellers entsprungen zu sein.
Das Mädchen nickte nur, da sie die Frage des Hausherrn als unumstößliche Bestellung aufgenommen hatte. Dann zog sie sich zurück und schloss leise die Tür.
Keine zwei Minuten später klopfte es, die junge Dame trat wieder ein, diesmal mit einem Tablett in den Händen, und stellte kommentarlos zwei Biergläser auf den Tisch, bevor sie erneut geräuschlos entschwand.
»So, mein lieber Herr Brechtl, endlich haben wir unsere Ruhe. Mein Gott,
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