Herrgottschrofen
Da ist zwar nie nix, weil da kann ja gar nix sein. Gar nie nix! Aber genau das ist der Charme der Lösung. Man kommt hin, wenn man muss. Oder müsste. Das Zeug ist eben nicht Tausende von Metern im Untergrund verschüttet. Und dann findens fünfzig Jahre später raus, dass es da unten modert, weil Wasser reinläuft. Wie bei dieser Asse jetzt grad. So eine Sauerei. Und dann muss das alles für ein irres Geld wieder nach oben geholt werden. Ich weiß gar nicht, wie man auf so eine damische Idee kommen konnte, überhaupt nach einem Endlager zu suchen. Der Schlüssel heißt ›dauerhafte Zwischenlagerung mit Rückholbarkeit‹. So nennen’s meine Beamten jedenfalls. Und die im Bundesamt für Strahlensicherheit auch. Und das Konsortium. Die Idee hat sich in Windeseile rumgesprochen in Fachkreisen. Und, wenn ich’s mir recht überlege, ist der Anton Brechtl aus Garmisch-Partenkirchen draufgekommen. Gratuliere, Herr Brechtl!«
Brechtl wurde wieder schwarz vor Augen. Mit offenem Mund saß er am Zirbelholztisch und schnappte nach Luft.
»Da bist ja endlich! Die Christina versucht’s seit Stunden!« Bürgermeister Meier war anzuhören, dass er es nicht schätzte, seine wichtigsten Bürger nicht zu erreichen, wenn er das wollte.
»Ja, mein Handy war aus. Was gibt’s?« Anton Brechtl durchmaß gesetzten Schrittes den Hofgarten. Sein Auto hatte er in der Tiefgarage stehen lassen. In der Tiefgarage der Bayerischen Staatskanzlei. Er war auf einmal wer im Freistaat. Er genoss die Nachmittagssonne und gönnte sich ein wenig Großstadtflair. O München, hast schon immer große Visionäre angezogen, die du ganz nach vorn gebracht hast, sinnierte er mit einem Blick auf die Türme der Theatinerkirche. Die von Millers, die Pettenkofers, die Fraunhofers, die Montgelas. Es war nicht so, dass er die bayerische Geschichte nicht kannte. Seine bescheidene Bibliothek in der Villa auf der Maximilianshöhe in Garmisch bestand eigentlich ausschließlich aus Bavarica. Er drehte sich zurück zur Staatskanzlei um, zur Kuppel des ehemaligen Armeemuseums. Vielleicht, so dachte er, würde er diesem weltbekannten Schumann’s erstmalig einen Besuch abstatten. Er, der baldige Träger des Bayerischen Verdienstordens. Der Erfinder der dauerhaften Zwischenlagerung mit Rückholbarkeit.
So richtige Lust, mit Bürgermeister Hans Wilhelm Meier zu telefonieren und sich den Höhepunkt seines Schaffens durch das Gerede des Provinzpolitikers versauen zu lassen, hatte er nicht. Der Bürgermeister konnte ja keine Ahnung haben, dass Anton Brechtl ganz oben angekommen war. Darum plapperte er auch munter drauflos.
»Ich hab’s. Ich weiß jetzt, was ihr da lagern wollt! Die BND-Akten. Was anderes kann’s ja gar nicht sein. Aber keine Angst, ich verrat’s niemand. Ist ja eine saubere Sache. Papier ist ja kein Gift, Toni, oder?«
Anton Brechtl schwieg.
»Hättst mir ruhig sagen können und nicht so ein Rätsel draus machen müssen, Toni. Ich gesteh’s ein, war eine harte Nuss. Top secret und Zwischenlager. Aber du hast halt einen Bürgermeister, der nicht auf der Brennsuppe dahergeschwommen ist. Sag amal, dürfen wir überhaupt über das Thema reden an einem Telefon. Ich mein jetzt, so unverschlüsselt?«
Der Bagger-Toni sagte immer noch nichts. Denn er spürte, er wäre sonst der Versuchung erlegen, dem Meier Hansi das Geheimnis anzudeuten. Hätte er ihm nur nicht die Stichworte »top secret« und »Zwischenlager« geliefert. Nun gut, Meier hatte ihn unter Druck gesetzt, regelrecht erpresst. Wenn er die Information, dass er von oben, von ganz oben beschützt würde, früher gehabt hätte, dann hätte er dem Meier Hansi das nicht gesteckt. Jetzt half nur noch eines: Der Meier musste weg. Zunächst aus diesem schönen Freitagabend verschwinden. Und dann aus Anton Brechtls Leben.
Er imitierte ein Rauschen in der Leitung, brüllte: »Du, ich hör nix mehr, Funkloch«, und legte auf. Dann schaltete er das Mobiltelefon aus.
Der Lufthansa-Flug 453 war überpünktlich. Bereits neun Minuten vor der für 16 Uhr 06 geplanten Ankunftszeit vermeldete die Anzeigetafel auf dem Münchner Flughafen »Franz Josef Strauß«, dass die gut dreihundert Tonnen Metall, die dreihundertsechsundzwanzig Passagiere in ihrem Inneren wohlbehalten über einen Kontinent und einen Ozean geflogen hatten, sicher im Erdinger Moos aufgesetzt hatten.
Wie immer an diesem Flughafen dauerten Aussteigen und Zollkontrolle wesentlich weniger lang als die Anlieferung des Gepäcks auf dem
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