Herrgottschrofen
Spielchen, Herr Hauptkommissar. Sie werden von meinem Mandanten kein Eingeständnis einer Lüge erhalten, weil er nicht lügt. Und Ihre scheinheilige Behauptung, dass er als Ihr Verdächtiger ausscheide, wenn er einen früheren GV zugibt, mit Verlaub, nimmt Ihnen kein Mensch ab. Sie wissen besser als wir, dass das Zeitfenster eines Samennachweises sieben Tage ist. Und wir wissen beide, welchen Tag Sie sich dann als Tatzeitpunkt heraussuchen würden. Nein, wir liefern Ihnen kein Indiz. Und, mein lieber Herr Hauptkommissar, nachdem Sie immer noch keinen Beweis erbracht haben, dass mein Mandant am Wochenende nicht in München in der Wohnung der Dr. Allgäuer war, wird es nach einer Woche U-Haft Zeit, dass ich die Inhaftierung richterlich überprüfen lasse.«
»Das sagen Sie jetzt auch schon seit einer Woche, Herr Dr. Mertens. Machen Sie. Tun Sie sich keinen Zwang an. Jeder von uns erledigt nur seinen Job.«
»Mehr wird es auch nach einer weiteren Woche nicht zu besprechen geben. Sie sind auf dem Holzweg, verehrter Herr Hauptkommissar. Und ich bin nicht sicher, dass Sie Ihren Job wirklich machen. Herr Hartinger wurde hereingelegt. Er ist Opfer einer kriminellen Handlung. Ich habe, wie Sie wissen, auch bereits Anzeige gegen unbekannt wegen Beweismittelfälschung erstattet.«
»Das ist ein anderes Verfahren, das hat mit meinen Ermittlungen nichts zu tun, Herr Dr. Mertens. Insofern mache ich durchaus meinen Job. Ich verbitte mir …«
»Machen Sie sich das nicht ein wenig einfach? Oder vielmehr zu schwer? Wenn Sie die oder den Beweismittelfälscher haben, da gehe ich jede Wette ein, haben Sie eine heiße Spur zu dem oder den Mördern der Svetlana Ryschankawa. Das muss Ihnen doch bitte schön einleuchten.«
»Ich sehe eine Nebelkerze, die leuchtet nicht, die dampft und raucht.« Hanhardt klappte die Akte, die vor ihm auf dem Tisch lag, zu. »Das wär’s für heute, die Herren. Oder haben Sie noch etwas zu Protokoll zu bringen, Herr Hartinger?«
»Ich bin Opfer einer Verschwörung.«
»Ja, das sagten Sie bereits. Dann sehen wir uns morgen wieder. Mal sehen, ob Ihnen bis dahin etwas Besseres einfällt.«
Im Marktarchiv des Rathauses Garmisch-Partenkirchen kannte sich Albert Frey aus wie in seiner Sockenschublade. Der Leiter des Archivs war ein guter Freund. Ohnehin pflegten die Heimatforscher am Ort einen freundschaftlichen Umgang miteinander, denn gerade bei Fragen der jüngeren Geschichte der Doppelgemeinde war man oft auf gegenseitigen Beistand angewiesen. Nicht allen Mitbürgern und erst recht nicht den Lokalpolitikern war an einer allzu genauen Aufarbeitung der Dreißiger- und Vierzigerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts gelegen. Doch dieser Zeitabschnitt war Albert Freys Spezialgebiet.
Gemeinsam mit dem Leiter des Marktarchivs hatte er eine Ausstellung konzipiert, die zur Ski-WM im Februar gezeigt worden war. Noch vor wenigen Jahrzehnten wäre es undenkbar gewesen, dass eine solche Darstellung der Nazizeit im Rahmen eines internationalen Events von der Gemeinde gefördert worden wäre. Natürlich war die Ausstellung »Die Kehrseite der Medaille« der Hoffnung auf Olympia 2018 geschuldet gewesen. Wer im einundzwanzigsten Jahrhundert Olympische Spiele ausrichten wollte, musste sich zu seiner Geschichte bekennen. Die Verantwortlichen des Bewerbungskomitees hatten das erkannt, und so eine kleine Ausstellung reichte dann auch hoffentlich als Aufarbeitungsversuch.
Allzu genau wollte das Internationale Olympische Komitee da auch nicht hinschauen. Dann hätte man ja auch das aktuell in Olympialändern stattfindende Unrecht benennen müssen. Nein, hundert Quadratmeter alte Fotos mit »Juden unerwünscht«-Schildern und der Geschichte, wie diese extra für Olympia ’36 von den Nazis selbst wieder abgeschraubt wurden, waren genug der historischen Vergangenheitsbewältigung, fand man im Kreise der Sportfunktionäre und Politiker und hatte die Ausstellungsmacher entsprechend kurz gehalten. Zudem hatte man die Ausstellung im Kurpark Garmisch gut versteckt und sich peinlicherweise sowohl den Druck eines Katalogs als auch eine englische Übersetzung der Ausstellungstexte gespart.
Aber dass die Ausstellung überhaupt zustande gekommen war, das war für Albert Frey und alle Mitwirkenden schon fast eine kleine Sensation gewesen.
Nicht erst seit der Arbeit an dieser Ausstellung ging Albert Frey im Marktarchiv ein und aus. Und so konnte er auch an diesem Tag den Mittag dort verbringen. Er saß schon seit dem frühen Morgen
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