Herrgottschrofen
Wäre er aufgestanden und hätte ihm eine gelangt, wäre die Sache schlecht für den Meier ausgegangen. Der Brechtl wog mindestens das Doppelte des auch schon als keif zu bezeichnenden Meier. Und er war drei Köpfe größer als dieser. »Jetzt beruhig dich wieder, Hansi. Was ist denn so wild eigentlich?«
»Was so wild ist? Und das fragst du? Weißt du, wie viele Touristen noch herkommen, wenn wir ein Atommülllager hier im Kramer haben? Da wird’s einsam im Tal, das kannst mir aber glauben.«
»Ah geh, Schmarrn. Das ist doch dem Skifahrer wurscht, ob da ein paar so Fassl umanandaliegen. Und es wird doch auch anständig gemanagt, das Zeug. Die Zerfallswertstoffe. Bombensicher. Atombombensicher. Die Gefahr, dass du dir beim Skifahren einen Haxen abreißt, ist wesentlich größer, als dass dich auch nur ein einziger Gammastrahl aus unserem dauerhaften Zwischenlager trifft.«
»Jetzt red du auch noch wie unsere Politiker. Du hast doch keine Ahnung. Weder von Gammastrahlen noch von der Psychologie des Bergtouristen.«
»Aber du.«
»Das weiß doch jeder, dass man eine Atommüllkippe nicht als Kurort verkaufen kann.«
»Ah so, kann man nicht? Abgesehen davon, dass das hier keine Atommüllkippe wird, sondern ein Ort, an dem höchst sichere Castoren höchst sicher zwischengelagert werden. Es geht auch anders: In Bad Steben verkaufen sie durchaus die natürliche Radioaktivität als Heilmittel.«
»Bist jetzt deppert? Das ist doch was ganz anderes. Dann hätten wir ja auch nach Tschernobyl unsere Eierschwammerl als Gesundmacher verscheppern können. Es geht doch um die Wahrnehmung, Toni, nicht darum, was wirklich ist. Bist du so blöd?«
»Ich nehme wahr, dass wir einen Tunnel bauen, den nie niemand brauchen wird. Und dass wir daher etwas Nachhaltiges damit tun müssen. Zum Wohl unserer Gemeinde. Arbeitsplätze schaffen wir da auch ein paar neue.«
»Und Millionen fließen dabei in deine Taschen.«
»Wärst Müllkutscher worden und nicht Bürgermeister, Hansi, dann bräuchtest nicht neidig sein.«
»Ich bin Müllkutscher, mein Lieber. Mehr als du glaubst.« Mit dieser nebulösen Ansage ließ Bürgermeister Meier seinen Gewerbesteuerzahler Nummero eins in seinem Baucontainer zurück. Er stapfte durch den Kies zu seinem Wagen und schoss ähnlich impulsiv davon, wie das vor einer Woche der Bagger-Toni mit seinem Allradler gemacht hatte.
Als er über die Behelfsbrücke an der Bundesstraße fuhr und nach links in Richtung Ort abbog, kam ihm ein Gedanke. Wenn er schon einmal hier heraußen war, konnte er ja Martin Bruckmayer seine Aufwartung machen. Es war ihm zu Ohren gekommen, dass eine berühmte Garmisch-Partenkirchnerin bei dem Bruckmayer in der Villa auf der Maximilianshöhe Quartier bezogen hatte.
Hartinger bemerkte die Veränderungen in seinem Denken und Fühlen, die Gefangene oft beschrieben hatten. Oder er glaubte sie zumindest zu spüren. Da war diese Wurschtigkeit dem Außenleben gegenüber. Was dort draußen, außerhalb dieser dicken Mauern, passierte, interessierte ihn immer weniger. Er war kein Teil mehr von dort draußen. Er war nun ein Teil von hier drinnen. Doch hier war er noch kein vollständig integrierter Teil.
Er entdeckte jeden Tag Neues. Er war ständig auf der Hut. Er hatte Angst. Als Untersuchungshäftling war seine Situation in wesentlichen Aspekten besser als die eines Gefangenen im Regelvollzug, wie das im Beamtendeutsch so schön hieß. Die Privilegien würden wegfallen, sobald er verurteilt war. Vergewaltigern und Mädchenmördern erging es im Knast nicht gut, das wusste er. Noch hatte er eine Einzelzelle, worauf er Wert legte. Er durfte Zivilkleidung tragen, worauf er verzichtete. Er genoss fast so etwas wie Einzelbetreuung durch die Vollzugsbeamten. Er wurde einzeln zum Sport gebracht, wo er auch an diesem Morgen wieder eine Stunde unter der Anleitung seines neuen Freundes Markus – oder Mucki-Markus, wie er ihn im Stillen nannte – Rücken und Bauch trainiert hatte. An diesem Tag durfte er den Nachmittag zudem in der Bibliothek verbringen. Doch zunächst war das tägliche Verhör mit Kriminalhauptkommissar Jürgen Hanhardt zu absolvieren.
»Sie können es sich und uns einfach machen, Herr Hartinger. Wenn Sie den GV mit dem Opfer zugeben. Der könnte ja vor dem Mordwochenende stattgefunden haben. Dann wären Sie aus dem Schneider.«
»Mein Mandant hat doch schon gefühlte einhundert Mal erklärt, dass er mit dem Opfer in keinerlei sexueller Beziehung stand. Lassen Sie doch Ihr
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