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Herrgottswinkel

Herrgottswinkel

Titel: Herrgottswinkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramona Ziegler
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meinem Herzen lebe ich mein eigenes Leben«, hatte Anna ihr geantwortet, als Johanna sie anlässlich dieses bösen Streits gefragt hatte, wie ihre Mutter bloß die vielen Demütigungen aushalte. »Ich liebe Anton nicht, und somit kann er mich auch nicht verletzen.«
    Am Grab schließlich vergoss Johanna keine Träne für ihren Stiefvater, reglos nahmen sie und ihre Mutter Hände schüttelnd die Beileidswünsche von Verwandten, Nachbarn und Freunden entgegen. Die große Anteilnahme verwunderte Johanna, doch ihre Mutter erklärte ihr den Grund dafür:
    »Dein Stiefvater war überall beliebt, denn er war stets hilfsbereit und freigebig. Nur die Wenigsten haben gewusst, wie er sich daheim aufgeführt hat. Von mir hat niemand etwas da rüber erfahren, denn ich habe unser Leid für mich behalten und nicht in die Öffentlichkeit getragen. Von denen wäre auch keine Hilfe zu erwarten gewesen, die hätten sich alle nur das Maul zerrissen, du kennst doch das Allgäuer Sprichwort: ›Jeds Hüs hot an Strüß, doch hängt ban it vorn nüs.‹«
    Als sie sich nach der Beerdigung von ihrer Mutter ver abschiedete, war es Johanna ganz leicht ums Herz. Ab heute würde es auch für Anna mit den Erniedrigungen, den Demütigungen und der Gewalt ein Ende haben, endlich würde sie frei und unabhängig sein – und dies nicht nur während ihrer Zeit auf der Alpe. Johanna brauchte nun nie mehr Angst um sie zu haben oder ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht bei ihr geblieben, sondern zu den Beslers nach Hüttenberg gegangen war. Eine große Last war von ihr genommen.
    In den folgenden Wochen kam Engelbert Bietsch häufig bei der Familie Besler vorbei. Johanna verhielt sich zurückhaltend, ja fast abweisend – und genau das gefiel Engelbert: Endlich war da mal eine, die ihm nicht nachlief. Seine Wirkung auf Frauen war ihm wohl bewusst, auch, dass er eine ›gute Partie‹ war, und so sollte seine Zukünftige ebenfalls etwas Besonderes sein: Schön sowieso, möglichst nicht aus armen Verhältnissen und verlässlich musste sie sein. Ja, verlässlich, das war das Wichtigste. Schließlich hatte er schon so einige schlechte Erfahrungen machen müssen in seinem Leben.
    Bei einem der gemeinsamen Spaziergänge, die Johanna und er unternahmen, wann immer es ihre anderen Verpflichtungen erlaubten, erzählte er ihr dann vom dem ›Päckchen‹, das er schon von klein auf zu tragen hatte: »Ich hatte eine schlimme Kindheit. Meine Mutter starb nach der Geburt ihres neunten Kindes mit sechsundvierzig im Kindbett. Ich war damals knapp zwei Jahre alt. Als vorletztes Kind hatte ich im Vergleich zu meinen Geschwistern wohl die schwierigste Position, denn ich musste mich nicht nur gegen meine älteren Brüder zur Wehr setzen, sondern auch gegen die jüngere Schwester, die zum Liebling meiner neuen Stiefmutter wurde. Mein Vater war als Frächter dauernd unterwegs und brauchte deswegen schnell eine neue Frau für uns Kinder, als meine richtige Mutter starb. Schon sechs Monate später heiratete er meine Stiefmutter. Sie war ebenfalls schon sechsundvierzig, hat Zigarre und Pfeife geraucht und gesoffen wie ein Loch. Wir Kinder haben sie gar nicht interessiert, nur meine Schwester. Vielleicht, weil sie noch so klein war. Die Neue kam aus Hinterstein, und jemand aus diesem einsamen Tal hat mir später erzählt, dass sie dort ein Fest gefeiert haben, als sie sie los waren. An eine Situation erinnere ich mich be sonders deutlich. Im Herbst kam mein Vater einmal mit dem Pferdefuhrwerk von einer Tour aus München zurück. Müde, hungrig und voller Staub von der anstrengenden Fahrt. Als er unser Haus betrat, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. Manche von uns Kindern weinten, weil sie hungrig waren, Hühner, Schafe und Schweine liefen im Haus herum. Meine Stiefmutter dagegen lag im Bett und schlief ihren Rausch aus. Die Zigarre hing ihr noch im Mundwinkel. Da zog er das alte Luder an den Haaren aus dem Bett. Sie schrie und schlug wild um sich, doch mein Vater ließ sich nicht beeindrucken. Er schleifte sie aus dem Zimmer, durch den Flur und nach draußen. Dort setzte er sie mitten auf den Misthaufen.« Engelbert lachte. Noch nie hatte er mit jemandem so offen über sein Leben gesprochen, alles war aus ihm herausgesprudelt. Fast schämte er sich ein wenig vor Johanna und schaute sie unsicher von der Seite her an.
    »Und was ist dann geschehen?« Johanna wartete gespannt auf den Ausgang der Geschichte.
    »Nichts!« Engelbert spannte sie weiter auf die

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