Herrin der Falken
Gedanke in dir verkrampft ist vor Angst, glaubst du dann, das Pferd merke es nicht, rieche es nicht? Benimm dich so, als vertrautest du dem Tier, sprich mit ihm, bilde in deinem Geist ein deutliches Bild von dem, was du vorhast. Wer weiß, sie mögen ihr eigenes Laran besitzen. Und mach ihm vor allem klar, daß du ihm nicht weh tun wirst. Das Pferd wird es jeder Bewegung, die du machst, jedem Atemzug entnehmen, ob du Furcht vor ihm empfindest oder ob du ihm Böses tun willst.«
Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Hengst zu.
»Nun komm, mein Hübscher, wir gehen in die Koppel, in den Sonnenschein… komm, komm… nein, nicht da entlang, Dummer, du wirst doch nicht zurück in den Stall wollen«, sagte sie halblaut und zog leicht an dem Strick. In der Koppel ließen ein halbes Dutzend Frauen Pferde an der Longe im Kreis laufen, riefen ihnen zu und brachten es im allgemeinen fertig, daß die Gangart eingehalten wurde. Romilly überprüfte kurz, was vor sich ging: Keine der Helferinnen machte ihre Sache wirklich schlecht. Allerdings hatte man für das Training bestimmt zuerst die gefügigeren Tiere ausgewählt. Dann suchte sie sich eine verhältnismäßig einsame Stelle. Eine oder mehrere der Stuten mochten rossig sein, und sie wollte nicht, daß der Hengst abgelenkt wurde. Die Longe in der Hand, trat sie zurück und schnalzte ihm zu.
Er war stark, ein großer, schwerer Hengst, und Romilly wurde beinahe von den Füßen gerissen, als er zu rennen begann. Er merkte, daß die Longe ihn festhielt, erkundete seine Möglichkeiten und begann im Kreis zu laufen. Romilly zog fest an, und er wurde langsamer bis zum Schritt. So ging es herum und herum. Nach einer Weile, als sie sicher war, daß er begriffen hatte, ließ sie ihn sich ein bißchen schneller bewegen.
Wie schön ist sein Gang; das ist ein Pferd für Carolin selbst. Oh, du herrliches Geschöpf, du!
Sie arbeitete fast eine Stunde mit ihm, gewöhnte ihn an den Zaum und rief nach einem Gebiß. Er wehrte sich überrascht ein bißchen dagegen. Romilly hatte Verständnis dafür, denn ihr würde es auch nicht gefallen, ein kaltes metallisches Ding in den Mund gezwängt zu bekommen.
Aber so ist es nun einmal, Schöner, du wirst dich daran gewöhnen, und dann kannst du deinen Herrn tragen.
Mittags brachte sie ihn zurück und schlug einer der Frauen vor, sie solle ihr sanfteres Pferd in den Pferch bringen und dem schwarzen Hengst ihre kleine Box überlassen. Romilly hatte bereits das nebelhafte Bild vor Augen, wie König Carolin auf diesem prachtvollen Pferd nach Hali einritt. Von dieser Arbeit, die sie leicht fand – nun, nicht gerade leicht, aber vertraut und angenehm –, wurde sie zur Übung im waffenlosen Kampf geschickt. Eigentlich hatte sie nichts dagegen, zu lernen, wie man fällt, ohne sich weh zu tun. Schließlich war sie, als sie reiten lernte, öfter vom Pferd gefallen, als sie sich erinnern konnte, und die Technik war ähnlich. Aber die ganze Reihe von Haltegriffen, Stößen und Würfen kam ihr unendlich kompliziert vor. Anscheinend wußte hier jede Frau mehr davon als sie, einschließlich der Anfängerinnen, mit denen sie die Grundbewegungen üben sollte. Eine der älteren Frauen beobachtete sie eine Weile, winkte sie zu sich, bedeutete den anderen, weiterzumachen, und fragte: »Wie lange ist es her, daß du dich der Schwesternschaft verpflichtet hast, mein Mädchen?«
Romilly überlegte. Die Ereignisse hatten sich in den letzten paar Monden so überstürzt, daß sie wirklich keine Ahnung hatte. Hilflos zuckte sie die Schultern. »Ich bin mir nicht sicher. Ein paarmal zehn Tage…«
»Und du siehst nicht viel Sinn in diesem Training, nicht wahr?«
Romilly gab sich Mühe, taktvoll zu antworten. »Ich bin überzeugt, es muß einen Sinn haben, wenn es in jedem Haus der Schwesternschaft stattfindet.«
»Wo bist du aufgewachsen? Wie lautet dein Name?«
»Romilly. Manchmal werde ich auch Romy gerufen. Und aufgewachsen bin ich im Vorgebirge der Hellers nahe Falkenhof.“
Die Frau nickte. »Das habe ich mir nach deiner Sprache gedacht. Du stammst nicht aus der Nähe einer großen Stadt, sondern aus einer abgelegenen Gegend, wo du nie einem Fremden begegnet bist?«
»Das ist richtig.«
»Also gut. Stell dir vor, du gehst in einer Stadt eine Straße entlang, und zwar in einem stark bevölkerten und schmutzigen Viertel.« Sie winkte, und das Mädchen Betta, das gestern beim Abendessen neben Romilly gesessen hatte, kam und gesellte sich zu
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