Herrin der Falken
Vater muß mein bloßes Vorhandensein eine schmerzliche Erinnerung an eine unglückliche Zeit seines Lebens dargestellt haben. Ich schulde Orain die Pflichten eines Sohnes – möge ich darin nie versagen –, aber mehr nicht. Verwandtschaft, denke ich manchmal, ist ein Streich, den uns die Götter spielen. Sie binden uns an Menschen, die wir nicht lieben, und wir müssen uns mühen, unsern Frieden mit ihnen zu finden. Aber Freunde sind ein Geschenk, und dein Vater ist mir ein Freund, beinahe ein Pflegevater geworden. Wenn wir diesen Krieg hinter uns haben…«, er berührte leicht ihre Hand. »Davon brauchen wir jetzt nicht zu sprechen. Du wirst wissen, was ich sagen wollte.«
Romilly sah ihn nicht an. Es hatte tatsächlich eine Zeit gegeben, als sie gedacht hatte, diesen Mann hätte sie gern geheiratet. Aber in dem seither verflossenen Jahr war ihr vieles widerfahren. Sie hatte Orain selbst begehrt, und er hatte sie nicht gewollt. Und Ranald… was zwischen ihr und Ranald geschehen war, gehörte nicht zu den Dingen, die zu einer Heirat führen. Es war auch unwahrscheinlich, daß ein Trockenland-Lord eine Schwertfrau aus den Bergen zur Frau begehrte. Sie glaubte nicht einmal, daß sie ihn nähme, wenn er um sie anhielte, und es gab keinen Grund zu der Annahme, daß er es tun würde. Ihre Körper hatten einander freudig akzeptiert, doch das war unter ungewöhnlichen Umständen geschehen. Es hätte gut ein anderer Mann sein können, der sie vor dem Tumult in ihrem Inneren rettete. Abgesehen davon wußten sie sehr wenig voneinander. Und wenn Alderic erfuhr, daß sie nicht mehr die tugendhafte Jungfrau von damals war, würde er sie dann überhaupt noch wollen?
Sie begann: »Wenn dieser Krieg vorüber ist, Lord Alderic…«
»Nenn mich Deric, wie es dein Bruder tut«, unterbrach er sie.
»Ruyven und ich sind bredin, und als Freund deiner beiden Brüder bin ich dir immer den Schutz eines Bruders schuldig. Das ist das mindeste.«
»Ich bin eine Schwertfrau – Deric«, erwiderte sie. »Ich brauche keines Mannes Schutz, aber ich nehme gern deine Freundschaft an. Die hatte ich, wie ich glaube, schon auf Falkenhof. Was über Freundschaft hinausgeht, da…«, sie konnte es nicht verhindern, daß ihre Stimme zitterte. »Davon sollten wir nicht einmal sprechen, solange dieser verfluchte Krieg tobt!«
»Ich bin dir dankbar für deine Ehrlichkeit, Romilly«, sagte er. »Eine Frau, die mich nur heiraten würde, weil ich der Sohn von Carolins erstem Ratgeber und Freund bin, möchte ich gar nicht. Mein Vater schloß seine Ehe, weil der alte König den Pflegebruder seines Sohnes zu ehren wünschte, indem er ihn mit einer hochgeborenen Lady vermählte. Sie verabscheuten sich, und ich hatte darunter zu leiden. Meine Kinder sollen einmal nicht von dem Haß zwischen ihren Eltern zerrissen werden, und ich habe immer geschworen, nur eine Frau zu heiraten, mit der ich zuvor Freundschaft geschlossen habe.«
Ihre Blicke trafen sich, und aus irgendeinem Grund hätte die Freundlichkeit in seinen Augen sie fast zum Weinen gebracht. »Auf alles andere können wir warten, Schwertfrau.«
Romilly nickte. Aber sie sagte nur: »Dann laß uns gehen und deinen Vater begrüßen.«
Bevor sie Carolins Zelt erreichten, kam ihnen Orain entgegen,
der in großer Eile auf das Vogelzelt zustrebte. »Mistress Romilly, Euer Kundschaftervogel wird gebraucht…«, er bemerkte ihren Begleiter und verstummte.
»Vater.« Alderic verbeugte sich.
Orain umarmte ihn kurz und zeremoniell. Der Anblick tat
Romilly weh; sie war so gewöhnt an Orains rauhe Zärtlichkeit. Selbst mich hätte er mit mehr Überschwang begrüßt! dachte sie. Orain sagte: »Ich wußte nicht, daß du angekommen bist, mein Junge. Carolin braucht jetzt jeden, der Laran besitzt. Vielleicht hast du gehört, daß Rakhal uns mit Haftfeuer überfallen hat.«
»Das hörte ich als erstes bei meiner Ankunft im Lager, Vater«, antwortete Alderic, »und ich stelle alle meine geringen Fähigkeiten Carolin zur Verfügung. Doch zuerst wollte ich Euch begrüßen, Sir.«
Orain erklärte gezwungen: »Dafür danke ich dir in seinem Namen. Die leronyn des Königs haben sich dort versammelt. Mistress Romilly, holt Euren Vogel. Wir müssen wissen, wieviel Zeit uns bleibt, bis Rakhal von neuem angreift.«
»Dann werden wir uns vor Rakhal zurückziehen?« fragte Alderic. Orains Mund bildete eine strenge Linie.
»Nur, um von den Leichen hier fortzukommen, damit wir manövrieren können,
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