Herrin der Schädel
Arm aus, ob sich da etwas tat. Da hörte ich hinter meinem Rücken das Zischen, und sofort stoppte ich mitten in der Bewegung.
»Warum so eilig, John?«
Die Stimme. Verdammt. Ich hätte damit rechnen müssen, aber ich war einfach zu stark abgelenkt worden durch das Schädelbild. Es gibt sie also zweimal!, schoss es mir durch den Kopf. Zum einen in der Realität und hinter mir, und zum anderen innerhalb des Bildes als Herrin der Schädel.
War das vor mir tatsächlich ein Bild? Oder war es nur eine Projektion, ein Trugbild? Vielleicht ein Hologramm?
Sie sprach mich wieder an. »Du bist durcheinander, nicht wahr, John? Ja, es gibt bestimmte Dinge, die man nicht einfach erklären kann. Das muss ich zugeben. Aber ich habe ein Zeitentor öffnen können, und das ist wunderbar. So siehst du mich in der Vergangenheit und auch in der Gegenwart.«
Ich hatte meine Sprache zurückgefunden. »Heißt diese Vergangenheit etwa Atlantis?«
»So heißt sie.«
»Du hast dort gelebt?«
»Ja.«
»Und lebst auch jetzt?«
»So ist es.«
Ich sah nicht, dass sie näher an mich herantrat, aber ich spürte es, weil ihr Parfümgeruch sich etwas verstärkte. Dicht hinter mir blieb sie stehen.
»Ich muss mich über dich wundem«, erklärte sie. »Sogar sehr wundern, denn du redest von einer fernen Zeit, als wäre sie dir nicht neu. Oder irre ich mich?«
»Du irrst dich nicht.«
»Dann gehörst du zu den Wissenden?«
»Man kann es so sagen.«
Ich hörte hinter mir ihr leises und sehr weiches Lachen. »Das habe ich bereits bei unserer ersten Begegnung gespürt. Ich wusste, dass du etwas Besonderes bist oder an dir hast. Mein Gefühl hat mich nicht getäuscht. Man merkt es immer, wer vor einem steht. Dafür habe ich einen Blick, und du hast es ebenfalls bemerkt.«
»Das stimmt.«
»Wunderbar…«
Ich hörte, wie sie sich bewegte. Dann legte sie mir ihre Hände auf die Schultern. »Irgendetwas verbindet uns«, sagte sie, und ich ließ sie in dem Glauben. »Aber ich kenne leider nicht den genauen Zusammenhang. Wie kommt es, dass wir uns getroffen haben? Hat das Schicksal seine Wellen geschlagen?«
»Ich weiß nicht, ob es das Schicksal gewesen ist, aber ich bin unterwegs, um einen vierfachen Mord aufzuklären.«
Jetzt war es heraus. Meine Spannung wuchs. Ich wartete auf eine Reaktion, die auch erfolgte, aber nicht so, wie ich es gedacht hatte. Sie sprach kein Wort, ich merkte nur, dass der Griff der beiden Hände an Lockerheit verlor.
»Warum sagst du das?«, fragte sie nach einer Weile.
»Es gab vier tote Männer.«
»Ach ja?«
»Sie wurden erwürgt. Man weiß nicht, womit das geschehen ist, aber es könnte auch eine Kette gewesen sein. Eine Kette, die ich mit eigenen Augen bei dir in der Vergangenheit sehe.«
Ich hatte wohl die richtigen Worte getroffen, denn nun erlebte ich ein Geständnis, das mich im ersten Moment schockierte, da sie jetzt ihr wahres Gesicht zeigte.
»Ich musste sie töten!«, hörte ich ihre Flüsterstimme nicht weit von meinem linken Ohr entfernt. »Ich musste sie einfach vernichten. Sie haben sich fassen lassen. Sie haben mich verraten, und deshalb haben sie den Tod verdient.«
»Nur weil sie für dich die Schädel gestohlen haben?«
»Ja, deshalb.«
»Wofür brauchst du sie? Was soll mit all den Knochendingen geschehen? Es ist pervers, die Köpfe der längst verwesten Toten aus den Gräbern zu holen.«
»Für dich mag das zutreffen, aber nicht für mich. Ich brauche sie, um mein Werk zu vollenden.«
»Welches Werk?«
»Ich will den Turm bauen. Den Turm aus Schädeln. Ich will meinen Stützpunkt haben, verstehst du das? Und deshalb brauche ich sie in einer großen Anzahl. Irgendwann wird der Turm fertig sein, und ich, die Herrin der Schädel, habe ihn gebaut. Schau mich dort in Atlantis an. Ich stehe bereits auf der Höhe. Unter mir befinden sich Tausende von Schädel, die ich gesammelt habe. Aber jetzt finde ich keine mehr, und ich war gezwungen, andere Wege zu gehen.«
Ein Turm aus Knochen. Aus Schädeln. Ich glaubte es fast nicht. Es war auch nicht unmöglich, denn so etwas Ähnliches hatte ich schon vor langer Zeit mit Luzifer’s Festung erlebt.
»Für wen? Für dich?«
»Ja, denn sie geben mir Macht. Als Herrin der Schädel werde ich eine feste Größe in Atlantis sein.«
»Der Kontinent ist verschwunden. Er ist explodiert, untergegangen. Begreife das.«
»Und trotzdem kann ich ihn besuchen. Ich bin nicht tot. Ich sehe mich. Ich lebe in zwei verschiedenen Zeiten. Einmal dort und zum
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