Herrin Der Stürme - 2
bedauern.«
Und doch war er unsicher. Er hatte in letzter Zeit gar nichts gesehen. Er hatte sich angestrengt bemüht, jegliche Anwendung seiner Vorausschau und ihrer schrecklichen drängenden Zukunftsmöglichkeiten auszuschalten. Traf es jetzt, da das von Renata empfangene weibliche Kind zerstört war, zu, daß es keinen Grund gab, sich zu ängstigen? Aber er hatte sie besänftigt. Sie wirkte jetzt ruhiger, und er wollte sie nicht wieder beunruhigen.
»Ich weiß, daß ich richtig gehandelt habe«, sagte Renata. »Aber in der letzten Zeit ist Dorilys so liebenswert, so folgsam und sanft geworden. Jetzt, da sie ihr Laran einigermaßen beherrscht, scheinen die Stürme nicht mehr zu wüten.«
Ja, dachte Allart. Es ist lange her, seit mein Schlaf oder mein Wachen von diesen gräßlichen Visionen des Gewölberaums gestört wurden; von den Visionen eines Kindergesichts, das schaurige Blitze umrahmten … Waren auch diese Tragödien aus dem Bereich des Möglichen geschwunden, da Dorilys ihre schreckliche Gabe zu meistern gelernt hatte? »Dennoch macht es das auf eine Art schlimmer«, fuhr Renata fort. »Zu wissen, daß es ein anderes Kind wie sie hätte geben können, das jetzt nie leben wird … Nun, vielleicht sollte ich in Dorilys einfach eine Tochter sehen, die ich nie wagen werde zu haben … Allart, sie hat ihren Vater und Donal eingeladen, ihr heute beim Spielen und Singen zuzuhören. Kommst du auch? Sie hat begonnen, eine wirklich schöne Singstimme zu entwickeln. Kommst du, um sie zu hören?«
»Mit Vergnügen«, sagte Allart aufrichtig.
Donal war bereits da, und ebenso Lord Aldaran und einige der Frauen aus dem Haushalt, einschließlich Dorilys’ Musiklehrerin, eine junge Adelige aus dem Haus Daniel. Sie war eine dunkle Schönheit mit schwarzem Haar und ebenso beschatteten Augen und erinnerte Allart flüchtig an Cassandra, obwohl sie sich nicht wirklich ähnlich waren. Doch als Lady Elisa mit gesenktem Kopf über der Rryl saß und die Saiten zum Klingen brachte, sah er, daß auch sie sechs Finger hatte. Ihm fiel ein, was er bei der Hochzeit zu Cassandra gesagt hatte: »Mögen wir in einer Zeit leben, in der wir Lieder, und nicht Kriege machen können!« Wie kurz diese Hoffnung doch gewesen war! Sie lebten in einem Land, das vom Krieg geschüttelt wurde. Cassandra in einem Turm, bedroht von Luftwagen und Brandbomben, Allart in einem Land in Flammen, mit Waldbränden und zuckenden Blitzen, die wie Pfeile einschlugen. Aufgeschreckt blickte er sich in dem stillen Zimmer um, sah zum ruhigen Himmel und den Hügeln hinauf. Nichts deutete auf Krieg hin, gar nichts. Es war wieder die verfluchte Vorausschau, denn nichts von alldem war in dem stillen Zimmer, in dem Lady Elisa die Saiten der Harfe berührte und sagte: »Sing, Dorilys.«
Die Stimme des Kindes, lieblich und klagend, setzte zu einem alten Lied aus den fernen Hügeln an:
»Wo bist du jetzt?
Wohin lenkt mein Geliebter seinen Schritt?«
Allart hielt solch ein Lied von hoffnungsloser Liebe und Sehnsucht auf den Lippen eines jungen Mädchens für fehl am Platze, aber er war von der Lieblichkeit der Stimme gefangen. Dorilys war in diesem Herbst beträchtlich gewachsen. Sie war größer geworden, und ihre Brüste, auch wenn sie noch klein waren, schienen unter ihrer kindlichen Bluse schon wohlgestaltet, während ihr junger Körper ansehnliche Rundungen aufwies. Sie war immer noch langbeinig und linkisch – sie würde eine hochgewachsene Frau werden. Schon jetzt war sie größer als Renata. Als sie ihr Lied beendete, sagte Dom Mikhail: »Es scheint in der Tat, mein Liebling, daß du die hervorragende Stimme deiner Mutter geerbt hast. Wirst du mir etwas weniger Trauriges singen?«
»Gerne.« Dorilys übernahm die Rryl Lady Elisas und stimmte sie ein wenig nach. Dann begann sie wie beiläufig die Saiten zu zupfen und setzte zu einer lustigen Ballade aus den Hügeln an. Allart hatte sie oft in Nevarsin gehört, wenn auch nicht im Kloster. Ein Rüpel-Lied über einen Mönch, der, wie es einem guten Mönch geboten war, alle seine Besitztümer in den Taschen trug.
»In den Taschen, den Taschen,
Fro’ Domenicks Taschen.
Die prächtigen Taschen in seinem Gewand, Die er stopft’ jeden Morgen mit eiliger Hand; Alles, was er besaß, wenn der Tag begann, Stopfte er in die Taschen und ging sein Tagwerk an.«
Bald lachten die Zuhörer kichernd über den immer weiter zunehmenden und lächerlichen Katalog der Besitztümer, die in den Taschen des legendären Mönchs
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