Herrin Der Stürme - 2
eine Rryl leihen würde …« Nachdem sie das kleinere Instrument gestimmt hatte, sang Cassandra mit lieblicher Stimme zwei oder drei Lieder aus den weitentfernten Valeron-Ebenen. Da sie für die Bergfrauen neu waren, baten sie um mehr, aber Cassandra schüttelte den Kopf.
»Ein andermal, vielleicht. Jetzt ist Dorilys an der Reihe, für uns zu singen, und ich bin sicher, daß sie begierig ist, die neue Laute auszuprobieren«, sagte sie. Die Laute, kunstvoll vergoldet, bemalt und mit Bändern geschmückt, war Lord Aldarans. Geschenk an seine Tochter. »Und ich bin sicher, daß sie eine Unterbrechung der Stickarbeit begrüßen wird.«
Dorilys blickte gleichgültig von dem auf ihren Knien liegenden Leinenstoff auf. »Mir ist nicht nach Singen zumute«, sagte sie. »Entschuldigt mich bitte.« Sie fuhr mit der Hand über die Augen und fing an, sie zu reiben. »Mein Kopf schmerzt. Muß ich noch mehr sticken?« »Nur wenn du möchtest, Liebes, aber wir sticken alle hier«, sagte Margali. In ihrem Geist schuf sie eine freundlich-vergnügte Vorstellung, die Cassandra und Renata deutlich erkennen konnten: daß Dorilys nur allzu bereitwillig Kopfschmerzen entwickelte, wenn sie die verhaßte Näharbeit tun sollte.
»Wie kannst du es wagen, so etwas über mich zu sagen?« schrie Dorilys auf. Sie schleuderte das Hemd in einem verworrenen Knäuel zu Boden. »Ich bin wirklich krank, ich spiele euch nichts vor! Ich will nicht einmal singen, und dazu habe ich sonst immer Lust…« Plötzlich fing sie an zu weinen.
Margali sah bestürzt und konsterniert drein. Ich habe doch den Mund gar nicht geöffnet! Oh, Götter, ist das Kind auch Telepathin? Renata sagte sanft: »Komm her, Dorilys, setz dich zu mir. Deine Pflegemutter hat nichts gesagt. Du hast ihre Gedanken gelesen, das ist alles. Es gibt keinen Grund zur Besorgnis.«
Aber Margali war es nicht gewöhnt, ihre Gedanken vor Dorilys zu verschließen. Sie war im Laufe der Zeit zu der Überzeugung gekommen, daß ihr Zögling nicht eine Spur telepathischer Kraft besaß. Jetzt konnte sie den schnellen Gedanken, der sie durchfuhr, nicht verhindern. Gnädiger Avarra! Das auch noch? Die älteren Kinder Lord Aldarans starben so, als sie heranreiften, und jetzt beginnt es auch bei ihr! Bestürzt griff Renata ein und versuchte, die Gedanken abzuschirmen, aber es war zu spät. Dorilys hatte sie schon aufgenommen. Ihr Schluchzen erstarb. Sie sah Renata in stierem Entsetzen an.
Cousine, werde ich sterben?
Renata sagte fest und laut: »Nein, natürlich nicht. Warum, glaubst du, haben wir dich unterrichtet und trainiert, wenn nicht, um dich zu stärken? Ich hatte es nicht ganz so früh erwartet, das ist alles. Versuche jetzt, keine Gedanken mehr zu lesen. Dir fehlt die Kraft dazu. Wir werden dir beibringen, es auszuschalten und zu kontrollieren.« Aber Dorilys hörte sie nicht. Sie starrte die Frauen in einem Alptraum aus panischer Angst und wilder Verzweiflung an; ihre Gedanken wurden im ersten, erschreckenden Augenblick der Überlastung auf sie zurückgespiegelt. Sie starrte wie ein gefangenes Tier, den Mund geöffnet, um sich. Ihre Augen waren vor Entsetzen so weit, daß rund um die verengten Pupillen das Weiße zu sehen war.
Margali stand auf, ging zu ihrem Pflegekind und versuchte, es in eine besänftigende Umarmung zu ziehen. Dorilys stand ganz starr und unbeweglich. Sie spürte die Berührung nicht, außer einem massiven Ansturm innerer Empfindungen konnte sie nichts wahrnehmen. Als Margali sie umarmen wollte, schlug Dorilys ohne es zu wissen zu und traf sie mit einem solch schmerzhaften Schlag, daß die alte Frau gegen die Wand geschleudert wurde. Elisa eilte Margali zu Hilfe und richtete sie auf. Die Frau blickte erschreckt und verwirrt.
Sich so gegen mich zu wenden … gegen mich?
Renata sagte: »Sie weiß nicht, was sie tut, Margali. Sie weiß gar nichts. Ich kann sie halten.« Sie versuchte, das bewegungslose Mädchen so zu packen wie damals, als Dorilys sich ihr zum ersten Mal widersetzt hatte. »Aber es ist sehr schwer. Sie braucht etwas Kirian.«
Margali ging die Droge holen und Elisa bat auf Renatas Bitte hin die anderen Gäste, zu gehen. Zuviel Gedanken in der Nähe würden Dorilys noch mehr ängstigen und verwirren. In ihrer Nähe sollten nur diejenigen sein, denen sie traute. Als Margali mit dem Kirian zurückkam, blieben nur Renata, Cassandra und Margali selbst zurück.
Renata versuchte, mit dem entsetzten Mädchen, das jetzt hinter einer Barriere aus Angst isoliert war,
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