Herrin wider Willen
zählen gegen das, was ich über ihn weiß.«
Er sprach zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch, aber Ada nahm an, dass das mehr an dem schmerzenden Knie lag als an seinem Vater. Er humpelte durch die Kammer zur Tür und stützte sich an der Wand ab, während er sie öffnete. »Soll ich helfen?« Ada wusste die Antwort, bevor sie fragte.
»Nein«, sagte er schroff.
Ada lächelte. Er schämte sich dafür, dass sie ihn gepflegt hatte, und wäre eher ins Nachtgeschirr gefallen, das sie zwei Türen weiter platziert hatten, als weiter Hilfe von ihr anzunehmen.
Mit einem Schütteln des Kästchens wollte sie die Spielfiguren darin zurechtrücken, damit sie den Deckel schließen konnte. Eine von den Holzscheiben bewegte sich nicht, schien am Boden festgeklebt. Beim Versuch, sie zu lösen, hob sich der doppelte Boden der Schachtel. Darunter lagen umschlaglose Briefe. Ein knappes Dutzend, auf zartem Papier, die Tinte leicht verblasst. » Liebe Agnes«, begann der oberste, begannen sie alle. Ada blätterte sie durch. Bis auf zwei waren alle von einer Katharina unterzeichnet. Die anderen beiden waren kurze Mitteilungen und kamen von G.W.
Wie kannst Du noch Worte von mir erwarten, nachdem Du mein Herz gebrochen hast? Es ist in mir so leer wie auf einem gefrorenen See bei Nacht. Ich habe nicht einmal mehr die Kraft, Dich zu mir zu wünschen.
Ada hielt vor Überraschung die Luft an. 1613 war der Brief datiert, und G.W. bedeutete nicht Ludwig von der Wenthe, die Handschrift war eine andere.
Wenn Agnes Lenz’ Mutter war, dann hatte sie einem anderen als ihrem Ehegatten das Herz gebrochen. Neugier wuchs in Ada, die Lust am Skandal. Was hatte »Agnes« gewagt, wie weit war sie gegangen?
Ada hätte die Briefe gern gelesen, ob es nun richtig war oder nicht. Ging es um Lenz’ Mutter, so war sie seit einundzwanzig Jahren tot und würde keinen Schaden mehr nehmen, weil eine andere Frau ihr Geheimnis teilte. Der Sohn musste es ja nicht erfahren. Sie lauschte zum Flur hin. Wenigstens ein Blick, dachte sie, und nahm sich den zweiten Brief von G.W. vor. 1619.
Ich danke Gott dafür, dass er Dir genug Vertrauen in mich eingab. Ich werde Deinen Sohn abholen. Gleichzeitig verfluche ich den Herrn, dass er Dir so viel Vertrauen eingab. Du weißt, dass ich es nicht enttäuschen werde, aber Du weißt vielleicht nicht, was Du damit von mir verlangst. Ich werde Dein Kind lieben, aber sein Anblick wird Wunden in mir aufreißen, die nur mühsam verheilt sind. Vor zwei Jahren hätte ich Dich noch angefleht mitzukommen. Heute ist es zu spät.
Lenz kam zurück. Flink versteckte Ada die Briefe wieder in der Schachtel. Nun wusste sie fast sicher, wer G.W. war. Agnes’ Kind war jedenfalls der Mann, der soeben in die Kammer gehumpelt kam.
Er lehnte sich neben der Tür gegen die Wand und schöpfte Atem. Eine dunkle Haarsträhne war aus seinem Zopf entkommen, und die oberste Schleife am Hemdkragen hatte sich gelöst. Er sah Ada nicht an, sondern blickte auf den Boden. Obwohl er sehr beherrscht war, glaubte Ada auf einmal eine besondere Verletzlichkeit in ihm zu erkennen. Sie konnte sich gut erinnern, wie ein sechsjähriges Kind sich fühlt, dem man die Mutter genommen hat. Voll Schmerz und Wut gegen alle, die es für schuldig daran hält. »Waren Christophers Eltern Freunde deiner Eltern?«
Lenz hob den Blick, als wäre er in Gedanken weit fort gewesen. »Katharina Carton und meine Mutter waren Freundinnen. Sie sind zusammen aufgewachsen. Zwischen unseren Vätern gab es bloß eine Geschäftsbeziehung. Das hat Christophers Vater nicht abgehalten, mich wie seinen eigenen Sohn zu behandeln. Katharina hat meine Mutter leider nur um sieben Jahre überlebt.«
»Du solltest das Bein lieber hochlegen.« Ada wusste, dass sie das sagte, weil sie sich nach einer Gelegenheit sehnte, ihn zu berühren.
»Ich fürchte, du hast recht.« Er hinkte zum Bett.
Ada stand hastig auf und half ihm ungebeten dabei, die Beine auf die Matratze zu schwingen, damit er die heilenden Muskeln nicht beanspruchen musste.
Peinlich berührt von ihrem heimlichen Vergnügen daran, wollte sie sich danach hastig zurückziehen, doch er hielt sie am Handgelenk fest.
»Ada …«
Die Hitze schoss Ada mit einer Wucht in die Wangen, dass ihr beinah die Tränen kamen. Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen.
Lenz fühlte an ihrem Handgelenk, wie ihr Puls raste. Sie konnte ihn nicht ansehen, solche Scheu hatte sie vor ihm. Eigentlich hatte er mit ihr über ihre Ehe sprechen wollen
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