Herrin wider Willen
denken konnte, um die Angelegenheit schnell zu bereinigen. »Was wollte das Kind stehlen?«
Aegidia hatte sich auf Gretes Arm geflüchtet und umklammerte deren Hals.
»Stehlen, das ist doch lächerlich«, sagte Grete. »Sie wollte ein Andenken, das ist alles.«
Luise zischte erbost. »Sie sagt, Grete hätte sie danach geschickt, und sie wüsste nicht, was sie mit so einem hässlichen Ding wollte. Hier.« Sie hielt den graubraunen Stein aus dem Schrankfach auf der Handfläche in Lenz’ Richtung, Ada vor die Nase.
Ada nahm ihn an sich und ging damit zum Fenster. »Das hatte ich nicht begriffen. Ich glaube, das ist ein Bezoar. Kein Briefbeschwerer.«
»Was?« Lenz ging zu ihr und betrachtete das Ding in ihrer Hand, das er für einen polierten braunen Flusskiesel gehalten hatte, nicht für den Magenstein eines Tieres. »So sieht ein Bezoar aus? Bist du sicher?«
»Ja. Der alte Herr von Bardeleben hatte einen. Er hat ihn auch benutzt, meinte, der Stein würde das Gift aus dem Wasser ziehen, das er immer für seine Gesundheit trank. Dazu hat ihm einmal ein Astrologe geraten.«
»Hat es ihm geholfen?«
Ada zuckte mit den Schultern. »Er war rüstig für sein Alter, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe.«
Lenz drehte sich wieder zu den anderen um und wandte sich an Vogt. »Bring Er sie fort, bevor ich mir überlege, dass Sie an den Galgen muss. Schließt euch draußen dem Gesindel an, zu dem ihr gehört. Man sollte euch das Kind doch fortnehmen, bevor ihr es ganz verderbt.«
Vogt hatte Grete am Arm und stieß sie wortlos aus dem Zimmer. In der Halle hoben sie hastig ihre Bündel und Körbe auf, dann verließen sie das Anwesen beinah im Laufschritt. Aegidia hielt sich dabei an einem der Körbe fest, die Grete trug.
»Ist der Stein etwas wert?«, fragte Luise mürrisch, während sie den dreien von der Haustür aus hinterhersahen.
Lenz wandte sich von der Tür ab und gab damit allen das Signal, ins Kabinett zurückzukehren. »Es gibt Leute, die so einen Bezoar zehnfach in Gold aufwiegen. Ich hatte bloß noch nie einen gesehen, deshalb bin ich mit dem Stein unachtsam umgegangen. Gut dass du den Diebstahl bemerkt hast.«
»Ich habe das Kind gesucht, es war Zufall.«
Ada lächelte ihr zu. »Dieser Zufall hat uns ein Jahr Armut erspart, Luise. Für den Stein finden wir sogar in Hermannsburg einen Käufer.«
»Das Vermögen der Herrschaft hat den Leuten hier noch nie die Armut erspart.« Luise verzog keinen Muskel in ihrem grimmigen Gesicht.
»Das wird nun anders. Ich möchte einiges Unrecht wiedergutmachen, wenn es möglich ist. Dazu gehört auch das Unrecht, das deiner Schwester geschehen ist, als sie Wenthe verlassen musste. Ich möchte dich fragen, ob man sie zurückholen kann.«
Luise schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wo sie ist. Vielleicht lebt sie nicht mehr.«
»Wohin könnte sie denn gegangen sein?«
Mit einem wütenden Blitzen in den Augen straffte Luise den Rücken und stand noch aufrechter als sonst. »Hätte sie gewusst, wohin sie gehen könnte, wäre sie wohl schon früher gegangen. Ich sage doch, ich weiß es nicht.«
Ihr feindseliger Stolz ärgerte Lenz weniger als zwei Tage zuvor. Da er sich nicht mehr damit auseinandersetzen musste, in ihr seine Halbschwester zu sehen, konnte er mehr Gleichmut aufbringen. »Habt ihr keine Verwandten und Bekannten andernorts? Niemanden, den sie vielleicht um Hilfe gebeten hätte? Was ist mit dem früheren Pastor, hätte sie sich an den gewandt?«
»Um den Pastor hätte sie einen Bogen gemacht, selbst wenn sie schon vor Hunger hätte kriechen müssen. Und ihren einzigen Bekannten hat der alte Herr weit weggeschickt, bevor er sie fortgejagt hat. Er hat ihn als Soldaten verkauft, mit bester Empfehlung für die vordersten Reihen. Es wäre ein Wunder, wenn er noch lebte. Er war Taschner, hatte vom Kämpfen so viel Ahnung wie die Kuh vom Sonntag. Und Heinrike hatte von nichts eine Ahnung. Sie wird gleich dem nächsten Abschaum in die Arme gelaufen sein. Für mich ist sie tot, und ihr Junge auch. Sie war dumm, sich mit dem Herrn zu streiten. Ich hatte sie gewarnt. Unsereins muss seine Stellung kennen. Die Gerechtigkeit für die Herrschaften ist eine andere als die für uns, daran wird sich nichts ändern, gleich, was geredet wird. Die kleine Gans hatte nicht genug Verstand für die Welt.«
Luise hatte sich in Rage geredet und mehr auf einmal gesagt als je zuvor. Lenz folgerte daraus, dass die Sache sie stärker bewegte, als sie zugab. Er wollte das
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