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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
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Entzug.
    »Alles
klar?«, murmelte er und rutschte zurück auf seinen Sitz.
    »Bestens.«
    Judith
fühlte das Papier auf ihrer Haut. Es kratzte. Kai ging ihr auf die Nerven. Sie
musste ihn loswerden und so schnell wie möglich einen Blick auf den
Obduktionsbericht werfen. Misshandlungen. Knochenbrüche. Und schließlich
erschossen wie ein Straßenköter. Sie wartete, dass die Schranke sich hob, und
fuhr in einem weiten Bogen so schwungvoll auf die Straße, dass das Chassis
wippte. Sie dachte an Dombrowskis Knarre und bereute es, sein Angebot
abgelehnt zu haben.
    »Hallo!«,
schrie Kai.
    Sie riss
gerade noch das Lenkrad herum. Der LKW hupte dröhnend. Ein Schlag, und der
Außenspiegel verabschiedete sich mit einem hässlich knirschenden Geräusch. Sie
schlingerte zurück auf ihre Spur. Hinten auf der Pritsche schepperten Eimer
und Werkzeuge, der Hammer rumpelte über die Ladefläche. Im Rückspiegel sah sie,
dass der LKW-Fahrer den Schaden nicht bemerkt hatte oder nicht bemerken wollte.
    »Meine
Fresse!« Kai war hellwach.
    Judith
kurbelte an der nächsten roten Ampel die Seitenscheibe herunter und
begutachtete den Schaden. Der Spiegel war ein uraltes Modell gewesen, ohne
jegliche Raffinesse. Dombrowski würde abends jemanden zur Schrottpresse
schicken und Ersatz besorgen lassen. Kai rutschte unruhig auf seinem Sitz hin
und her. Am liebsten wäre er wohl ausgestiegen.
    Sie hieb
mit der flachen Hand von außen an das Blech, als wäre es die Flanke eines
Pferdes, grinste ihn an und gab Gas.
    »Jetzt hab
dich nicht so. Ist doch nichts passiert.«
    Sie
reichte ihm ihr Tabakpäckchen. Er zog zwei Vorgedrehte raus, zündete sie an und
reichte ihr eine.
    »Hör zu«,
sagte sie. »Willst du eigentlich arbeiten oder weiter von meinen Steuern
leben?«
    »Auf so
uncoole Diskussionen hab ich keinen Bock.«
    »Okay.«
    Sie
konzentrierte sich auf den Verkehr und nahm für den Rückweg den
Tiergartentunnel. Zwei Komma vier Kilometer geradeaus. Durchatmen und
nachdenken. Borgs Gesicht tauchte vor ihr auf. Wer bist
du, dachte Judith. Du lebst in Schweden und kommst
nach Berlin. Mit meiner Heimakte. Ich war noch nie in Schweden. Aber irgendwo
müssen sich unsere Koordinaten schon einmal gekreuzt haben. Du wusstest das.
Ich nicht.
    Der
Einfall kam so plötzlich, dass sie beinahe das Lenkrad verrissen hätte. Der
Briefumschlag. Der Absender. Post aus der Asche des Fegefeuers. Zwischen
Schweden und Berlin lag Sassnitz. Dort liefen die Fäden zusammen. Dort
irgendwo lebte der Absender. Dort musste sie hin.
    Als Judith
am Hintereingang des Krankenhauses hielt, standen einige Patienten um den
Standaschenbecher herum. Ihr Handy vibrierte. Sie musste nicht nachsehen, um zu
wissen, dass das Dombrowski war.
    »Was ist
denn zu tun?«, fragte Kai. Er hatte den Rest der Fahrt geschwiegen und sich
wieder abgeregt.
    Judith
stellte den Motor ab.
    »Wischen.
Mülleimer ausleeren. In Kolonne, also ziemlich geruhsam.«
    Wenn
Dombrowski das hörte, würde er im Dreieck springen. Manchmal kam er mit einer
Stoppuhr vorbei und trug die Zeit, die man für einen Flur brauchte, in eine
Tabelle ein. Er schüttelte den Kopf dabei und grummelte vor sich hin. Tage
später erging die Anweisung, pro Meter eine Sekunde einzusparen. Bis jetzt
wurden solche Ansagen in einer Art stillschweigender Übereinkunft ignoriert.
    »Und um
drei ist Schicht?«
    Judith
warf einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett. Zwei Minuten nach eins. »Ja.«
    »Das gilt
dann aber als Arbeitstag, oder? Fürs Amt muss ich eine Woche vollkriegen.«
    »Übertreib
es nicht.« Er wollte aussteigen.
    »Moment.«
Judith griff in ihre Brusttasche. »Hier ist meine Stechkarte. Geh rein und
melde dich bei Josef. Sag ihm, ich habe noch was zu erledigen. Wenn du in der
Firma bist, zieh sie durch.«
    Kai
starrte auf das Plastikkärtchen. »Du kommst nicht mit?«
    »Rede ich
chinesisch? Mach den Job und halt den Mund.«
    Er nahm
die Karte und steckte sie ein. »Das ist aber keine Einbahnstraße«, sagte er.
    Judith
zuckte mit den Schultern. Sie wartete, bis er im Haus verschwunden war. Sie
holte ihr Handy heraus. Dombrowski hatte ein halbes Dutzend Mal versucht, sie
zu erreichen. Sie drückte so lange auf den roten Knopf, bis das Display vollkommen
erlosch. Es wurde Zeit, mit Vollgas zurück in die Hölle zu fahren.
     
    *
     
    Klaus
Dombrowski hatte Vatergefühle. Natürlich waren sie nicht vergleichbar mit
denen, die er bei der Geburt seiner drei Kinder von drei verschiedenen Frauen
gehabt hatte. Aber er

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