Herrmann, Elisabeth
bezeichnete diese diffuse Anwandlung von
Verantwortlichkeit so, weil ihm nichts Besseres zu Judith einfiel.
Er stand
in seinem Büro und beobachtete die Rückkehr der Mitarbeiter wie ein römischer
Feldherr die Heimkehr der siegreichen Kohorten. LKW rangierten auf dem Hof,
Kleinbusse trafen ein und lieferten die Putzkolonnen der Frühschicht gleich
vor der Tür der Umkleideräume ab. Er schaute zur Wanduhr - kurz nach drei.
Josef stieg als einer der Ersten aus. Ihm folgte dieser unfähige Praktikant,
dem er auf den ersten Blick angesehen hatte, dass er entweder eine verschärfte
Grundausbildung beim Bund oder jemanden wie Judith als Boss brauchte, um überhaupt
noch die Kurve zu kriegen. Sechs weitere Arbeiter folgten, der letzte schob die
Tür zu, der Bus war leer, Judith war nicht da. Und es fehlte ein Transporter.
Dombrowski
runzelte die Stirn. In seinem Büro stand immer noch der Rosenstrauß und
erinnerte ihn minütlich daran, dass etwas in Judiths Leben geschehen war, das
den Einsatz solcher Mittel rechtfertigen musste. Er verließ das Büro und ging
hinüber zur Baracke, wo er den Praktikanten gerade dabei erwischte, wie er
eine Stechkarte durch den Slot zog, die unmöglich seine eigene sein konnte.
Dombrowski schnappte sie dem überraschten Jungen von hinten aus der Hand und
studierte erst das Foto, dann das verstockte Gesicht des Knaben.
»Ich sehe
keine Ähnlichkeit. Noch nicht mal entfernt«, knurrte er und hielt ihm Judiths Karte unter die
Nase. »Josef?« Keine Antwort. »Josef!«
Der zweite
Ruf hallte durch die gekachelten Räume wie ein Trompetenstoß. Der Gesuchte, den
Kittel schon halb offen, lugte aus einer Tür in den Gang.
»Ja,
Chef?«
»Mitkommen.
Beide.«
In seinem
Büro standen sie mit hängenden Köpfen vor ihm. Dombrowski tigerte auf und ab
und zerkaute beinahe seinen Zigarillo vor Wut.
»Wo ist
sie?«
Josef sah
hoch. »Keine Ahnung, Chef. Der da kam und sagte schöne Grüße, er soll für sie
einspringen.«
Der da
kaute auf der Unterlippe, lehnte sich in James-Dean-Manier, die Pfoten in den
Taschen, an die Wand und sah mit gerunzelter Stirn aus dem Fenster. Dombrowski
blieb vor dem Jungen stehen, so lange, bis er sich endlich bequemte, ihm in die
Augen zu sehen.
»Ist doch
kein Akt«, sagte er. »Ich komm sowieso nicht wieder.«
Er stieß
sich von der Wand ab und wollte gehen. Dombrowski packte ihn unsanft an der
Schulter und schob ihn zurück in die Ausgangsposition.
»Hiergeblieben.
Wir sind noch nicht fertig.«
»Hallo?«
Der Junge rieb sich die Schulter, als hätte Dombrowski sie ihm ausgerenkt.
»Ich hab ihr nur einen Gefallen getan.«
»Wo ist
sie hin?«
»Hat sie
mir nicht gesagt.«
»Und der
Wagen? Ist was mit dem Wagen?«
»Weiß ich
doch nicht!«
Dombrowskis
Blick heftete sich auf Josef.
»Plötzlich
war sie weg«, sagte der Vorarbeiter. »Da frag ich doch nicht, wer die Arbeit
macht. Hauptsache, sie wird gemacht. «
Dombrowski
schnaubte. Er wusste, dass in seinem Betrieb so manches geschah, was Chefs
besser nicht wussten. Bis jetzt hatte er immer ein Auge zugedrückt. Die
Stechkartennummer war die älteste seit Erfindung des Stechkartenautomaten. Er
warf das Plastikkärtchen auf den Tisch und kam sich selber dämlich vor bei dem,
was er nun sagte.
»Das ist
Betrug. Fristlose Kündigung.«
»Ich bin
ja noch nicht mal eingestellt«, maulte der Schlaumeier von Praktikant und sah
zu dem gewaltigen Rosenstrauß. Man konnte seiner glatten Fresse ansehen, was er
über Männer dachte, die ihr Büro mit meterhohen wachsgelben Blumengebinden
schmückten. In Dombrowski rumorte es. Am liebsten hätte er dem Knaben eine
Schelle gegeben. Und wenn der blöd fragen würde, warum und wofür, gleich noch
zwei hinterher. Doch er bremste den Boxer in sich und nickte.
»Genau das
holen wir jetzt nach. Josef? Der Junge macht an Judiths Stelle weiter. So
lange, bis sie wieder da ist. Und wenn du hier morgen früh um 5.30 Uhr nicht
pünktlich auf der Matte stehst, trete ich deine Tür ein und hole dich
persönlich aus den Federn.«
»Nee.« Der
Junge tastete sich rücklings zur Tür und war auf dem besten Weg, sich zu
verpissen. »Nicht mit mir. Das war ein Gefallen, den ich ihr getan habe. Ihr
könnt mich dafür nicht einbuchten.«
Blitzschnell
riss er die Tür auf. Dombrowski gab Josef ein Zeichen. Der Mann stürzte sich
auf den Flüchtenden, erwischte ihn und riss ihn unsanft zurück.
»He!«
Josef
stellte sich vor die Tür und verschränkte die Arme. Er war mindestens
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