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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
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einen
Kopf größer als der kleine Pinscher, der in Dombrowskis Augen mehr und mehr das
Recht verspielte, Mitglied einer ehrlichen Brigade zu sein.
    »Ich
glaube, wir müssen dir mal was erklären«, sagte Dombrowski. »Wie das läuft
hier bei uns. Die einen nennen es mitgefangen, mitgehangen. Die anderen
einfach nur Wort halten.«
    Dombrowski
nahm die Karte und hielt sie dem Jungen unter die Nase.
    »Du hast
Judith versprochen, für sie einzuspringen?« Die Augen des Jungen sahen schnell
zur Tür. Josef verlagerte sein Gewicht von einem auf den anderen Fuß. »Ja.«
    »Dann tust
du es auch. So lange, bis sie wieder da ist. Du wirst dich mit dieser Karte
morgens anmelden und abends wieder abmelden. Josef wird sich um dich kümmern.«
    Josef
nickte, und das sah nach einer ernsten Drohung aus.
    Der Junge
nahm die Karte. »Und wie lange?«
    »Bist du
taub? Bis sie wieder da ist. Oder bis dir einfällt, wohin sie sich aus dem
Staub gemacht hat.«
    »Schon
klar.« Er steckte die Karte ein. »Ich weiß nicht, wohin sie wollte. Sie war im
Leichenschauhaus und ist dann abgehauen.«
    Liepelt.
Dombrowski spuckte einen Tabakkrümel aus. »Raus.«
    Beide
verschwanden wie der Blitz. Dombrowski ging zum Schreibtisch und ließ sich in
den Schalck-Golodkowski-Sessel fallen. Olaf Liepelt. Auch so einer von Judiths
Schützlingen. Sie hatte ihn aus der Gosse geholt und ihm nach einem Jahr den
Job in der Gerichtsmedizin besorgt.
    Dombrowski
zog die Schublade auf. Die Knarre lag noch da. Er würde Judith einen Tag Zeit
geben. Wenn sie bis dahin nicht wieder auftauchte, würde er ein Wörtchen mit
Liepelt reden.
    Das
Telefon klingelte. Er hob ab und hatte wieder diesen Kerl am Apparat, der schon
den ganzen Vormittag nervte.
    »Nein! Sie
ist nicht da. Sie wird sich bei Ihnen melden!«, brüllte er und legte auf.
    Er gab der
Schublade einen Tritt. Mit einem Knall flog sie zu. Vatergefühle. Scheißdreck.
Sie war abgehauen. Das hatte sie noch nie getan. Vielleicht war doch ein Kerl
im Spiel. Nicht der, der ständig anrief und schon x-mal seine Nummer
hinterlassen hatte. Einer, der gelbe Rosen schenkte und auf geheimnisvoll
machte. Der nicht anrief, sondern Briefchen in Blüten verschickte. Dombrowski
schnaufte. Er ging zum Fenster, riss es auf und schickte einen gellenden
Zwei-Finger-Pfiff über den Hof. »Josef!«
    Der
Vorarbeiter, schon halb auf dem Weg zur Umkleidekabine, zuckte zusammen. Er
machte auf der Stelle kehrt.
    Wer so ein
Gebinde einer Frau schickte, war schwul oder wollte sie beerben. Für beide
Sorten Mann war Judith nicht die ideale Zielgruppe. Aber solange er sie nicht
in die Finger bekam, konnte er auch nichts tun. Er sah hinunter auf seinen
Notizblock. Drei Telefonnummern standen darauf. Die erste gehörte dem
Rosenkavalier. Die zweite diesem Nervbolzen, Kaiserdingsbums, der ihn mit
Fragen terrorisierte. Die dritte dem Bullen, Franz Ferdinand Maike. Er zog sein
Rollregister heran und drehte es auf den Buchstaben L. Liepelt. Da haben wir
ihn ja. Sorgfältig schrieb er dessen Nummer als vierte auf die Liste. Er nahm
seinen kalten Zigarillo und lutschte nachdenklich darauf herum. Von null auf
vier in achtundvierzig Stunden.
    »Chef?«
    Dombrowski
deutete auf den Strauß. »Weg damit.«
    Josef
nickte. Als das Büro endlich wieder aussah wie ein Büro und nicht wie die
Garderobe eines Travestie-Stars, lehnte sich Dombrowski in seinem Sessel
zurück. Er nahm den Block und fixierte die Nummern. Er würde sie sich
vornehmen. Immer schön einen nach dem anderen. Und wenn einer dafür verantwortlich
war, dass Judith in Schwierigkeiten steckte, würde er ihm jeden Knochen einzeln
brechen.
     
    Josef trug
den Strauß über den Hof und überhörte die Bemerkungen, die die Kollegen ihm
hinterher brüllten. Er warf ihn in einen der Container, die in den nächsten
Tagen zum Recyclinghof zurückgingen.
    Neben dem
Container stapelten sich zwei rostige Sprungfedermatratzen und einige kaputte
Kleinmöbel. Reste aus Wohnungen, die die Entrümpelungsbrigade erst mal auf dem
Hof zwischengeparkt hatte. Er warf bei der Gelegenheit alles gleich mit in den
Container. Die Blumen wurden zerquetscht, nur der Kopf einer Rose brach ab und
kullerte ein Stück weiter in die Ecke. Hätte Josef genau hingesehen, so hätte
er vielleicht ein zwei Millimeter langes Stück Silberdraht erkennen können, der
aus dem Stumpf des Stieles ragte. Er war bis wenige Sekunden zuvor mit dem
Spulenkern verbunden gewesen, der das Kristallmikrophon in der Blüte über

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