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Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Titel: Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Magnus Enzensberger
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Z., »daß die Reklameleute die Klassiker enteignet haben? Mozart und Molière, das war gestern. Heute prangt das Wort Classic – natürlich auf englisch, denn Deutsch verstehen diese Personen nicht – auf Flaschen mit Badeschaum, auf teuren Bleistiften und auf Käseschachteln.«

189 Dann fiel Z. über die Filmmusik her. Sie sei aufdringlich, armselig und insgesamt überflüssig. Jeder Dialog ersaufe in dieser trüben Soße. Die Tonmeister, die für die Mischung zu sorgen hätten, litten offenbar unter Gehörschäden. Die großen Meister des Films seien oft ganz ohne diesen lästigen Lärm ausgekommen.

190 »Woher«, fragte einer von uns, »kommt eigentlich Ihre schlechte Laune, Herr Z.?«
    »Muß man denn unentwegt Spaß haben ? Dann sagen Sie doch gleich fun zu dem, was Sie darunter verstehen.«
    »In Ihrem Alter, Herr Z., sollten Sie toleranter und über solche Sottisen erhaben
sein.«
    »Sie haben recht. Ich nehme mir vor, morgen früh, wenn auch nicht vor zehn Uhr, diese Unart abzulegen und Ihnen mit heiterer Stirn zu begegnen. Bis dahin wünsche ich einen guten Abend.«

191 Fast immer fand sich jemand, der bereit war, Z. gegen seine Angreifer zu verteidigen. Diesmal fragte jener Philosophiestudent, der sich bis dahin eher mit seinen Attacken hervorgetan hatte: »Wer unter Ihnen weiß, was ein Grantler ist?«
    Die Norddeutschen hatten darauf keine Antwort.
    »Mit dem Nörgler, dem Mäkler und dem Meckerer«, erklärte der angehende Philosoph, »ist der Grantler nicht zu verwechseln. Denn Herr Z. ereifert sich nicht, er wird nicht laut wie zum Beispiel der Motzer. Das, was ihm auffällt und was er bedauert, überrascht ihn kaum. Im Gegensatz zum Rohrspatzen bringt ihn die Tatsache nicht aus der Ruhe, daß der Mensch aus krummem Holz geschnitzt ist.«
    Diese Rede wurde stillschweigend gebilligt.

192 Am andern Tag wurde Z. gefragt: »Sind Sie heute besser aufgelegt?«
    Er nieste, schneuzte sich, betrachtete sein Taschentuch und sagte: »Nein.«

193 Daraufhin verließen uns manche, die bis dahin ausgeharrt hatten. Wir aber ließen uns nicht entmutigen. »Was ist los?« fragten wir. »So launisch kannten wir Sie bisher gar nicht.«
    »Einmal war ich in Lissabon«, erzählte Z. »Das ist lange her. Es muß um die Mittagszeit gewesen sein. Die Straßen waren menschenleer.« Er zeigte auf sein Handgelenk. »Ichtrage nie eine Uhr. In diesem Sinn bin ich ein Parasit. Ich sah mich nach einem Kirchturm um, nach einer dieser altmodischen Wettersäulen, die neben dem Luftdruck auch die Temperatur und die Zeit anzeigen. Doch in ganz Lissabon waren die Uhren stehengeblieben. Die eine stand auf fünf Uhr, die nächste auf halb neun. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, sie aufzuziehen. So wie damals ist mir heute zumute.«

194 »Die Traurigkeit ist ein Zustand, den wir alle kennen, außer den Befindlichkeits-Medizinern, die ihn Depression nennen. Ein Freund von mir, der darunter zu leiden hat, kam neulich auf die Haut zu sprechen. Sie werde immer dünner, sagte er. Was tue man nicht alles, um sie zu straffen, zu glätten, zu schminken!«
    »Meinen Sie mich?« erkundigte sich die elastische Dame in Reitstiefeln, von der man vermuten konnte, daß ihr solche Praktiken nicht unbekannt waren.
    »Aber ich bitte Sie, gnädige Frau! Ein wenig Botox, ein kleines Lifting … Wenn es nur daswäre! Nein. Mein Freund faßt viel größere Phänomene ins Auge. Das meiste, was er sieht, sagt er, komme ihm wie ein Ensemble von Werbespots vor. Zum Beispiel die aktuelle Kunst. Die habe sich einer angebotsorientierten Ästhetik anvertraut, nach dem Motto What you see is what you get. Sie gehe nicht mehr unter die Haut, sondern begnüge sich mit der Benutzeroberfläche. Man nenne das auch Content-Management . Je dünner der Bildschirm, desto besser!«
    Den Philosophiestudenten ließ das nicht ruhen. »Kein Wunder, daß Ihr Freund betrübt ist. Offenbar vermißt er den Tiefgang, die Innerlichkeit. Daß alles so flüchtig, so oberflächlich geworden ist, darüber hat die Kulturkritik schon immer gejammert.« Und um darzutun, wie wenig er von solchen Sorgen hielt, fügte er hinzu: »Vielleicht mißfällt Ihrem Freund auch nur, daß seine Haut altert.«
    »Mag sein. Aber könnte es nicht sein, daß er in seinem Kummer etwas bemerkt hat, was Ihnen entgangen ist? Man sollte die Einsichten der Betrübten nicht geringschätzen,auch wenn man selber so gut aufgelegt ist wie Sie, mein Lieber.«

195 »Und warum hängen Sie so müden Gedanken nach?«

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