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Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Titel: Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)
Autoren: Hans Magnus Enzensberger
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definieren wollten, bevor wir es in den Mund nehmen, kämen wir nie vom Fleck.‹ Aber dazu war der junge Mann wohl zu höflich.
    Wissen Sie, woran mich das erinnert? An eine Talkshow. Sokrates war vermutlich der bekannteste Talkmaster von Athen, und seine Unterhaltungen gaben sich zwar den Anschein des Privaten, aber in den maßgebenden Kreisen sprachen sie sich sogleich herum. Eines muß man ihm allerdings lassen. Sokrates verlangte nicht wie die andernSophisten für einen Auftritt fünfzig Drachmen.«
    »Das kann man auch zu Ihren Gunsten sagen«, stellte der Abiturient fest, der kein Blatt vor den Mund nahm. »Allerdings nehmen auch Sie uns, ganz wie der athenische Trickster, in die Zange, bis wir nicht mehr aus noch ein wissen.«
    »Nur daß ich Sie nicht mit Definitionen behellige. Definitionen sind unfruchtbar.«
    Damit war die Ruhe wiederhergestellt.

185 »Die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift. Das gilt auch heute noch«, bemerkte Z., »allerdings nur für den Fußball.«

186 Nicht alle wollten es für bare Münze nehmen, wenn Z. sich barmherzig gab. So, als er einmal betonte, wie sehr er die siegreichen Sportler bedaure, die im Fernsehen gezeigt würden. Über und über mit farbigen Flicken bekleckert, seien sie gezwungen, uns Erdgas, Schrauben oder Milchschokolade anzupreisen. Er mißgönne ihnen ihreEinnahmen nicht, doch frage er sich, was ihre Leistungen auf der Piste oder auf dem grünen Rasen mit den Versicherungspolicen und den Bieren zu tun hätten, mit denen sie sich brüsteten. Auch verstehe er nicht, warum sie sich die rituelle Zwangstaufe mit den klebrigen Schaumweinen gefallen ließen, die sich über ihre Trikots ergössen.
    »Dem Enthusiasmus der Fans tut das alles keinen Abbruch«, sagte der Junge mit der Baseballkappe, den Z.s schlecht verhohlener Spott verdroß.
    »Natürlich nicht. Aber ich denke ja nicht nur an die Sportler. Warum sind nur sie es, die unter solchen Zumutungen zu leiden haben? Warum kommen andere Spitzenkräfte ungeschoren davon? Ich denke da vor allem an unsere Wirtschaftsführer. Sind ihre Maßanzüge nicht allzu farblos? Woran mag das liegen?«
    »Die Manager-Kaste«, schlug einer als Erklärung vor, »ist doch auf die Honorare der Werbeagenturen nicht angewiesen.«
    »Das stimmt. Aber wie sieht es bei unserem politischen Personal aus? Ein Parteivorsitzender oder ein Minister wird doch weit schlechter bezahlt als jeder dreißigjährige Investmentbanker. Wo, frage ich mich, bleibt da die soziale Gerechtigkeit? Fehlt es den Schatzmeistern der Parteien an Geld? Dann hilft nur eines: Die Politiker sollten dem Beispiel der Skispringer und der Rennfahrer folgen und sich der Werbung anvertrauen.
    Schluß mit der Tristesse der einfallslosen Kostümierung! Aufnäher und Etiketten her! Wie bunt sähen dann die Wahlkampfauftritte, die Pressekonferenzen und die Parteitage aus! Kein Interview ohne deutsche Markenartikel. Das würde nicht nur den Binnenkonsum, sondern auch die Exporterlöse beflügeln.«
    »Das hat uns gerade noch gefehlt. Alles auf unsere Kosten! Wo bleiben da die Interessen der Arbeitnehmer?«
    »Auch die Vertreter der Lohnabhängigen könnten ihre Tracht mit den Logos der Konzerne verschönern. Das würde die Bilder von den zähen Tarifverhandlungen auflockern, und die Gewerkschaftsfunktionärekönnten mit ihren Reklameeinnahmen die Mitgliedsbeiträge senken oder die Streikkassen füllen.
    Auf diese Weise trüge jeder seinen eigenen Sponsor auf der Brust. Es ist immer gut, zu wissen, wer zahlt. Damit läge offen zutage, was der Volksmund immer behauptet hat und was jede Sportschau lehrt: Ehrlich währt am längsten!«

187 Die Flatrate sei auch eine von den unausgegorenen Ideen, mit denen große Konzerne ihr Geld verdienen, sagte Z. »Warum soll sie nur für diese winzigen Telephone gelten, an denen Sie hängen? Ich möchte für ein wenig mehr Courage plädieren. Warum sollen wir jedesmal von neuem bezahlen, wenn wir ein Taxi nehmen, ein Bier trinken oder ins Theater gehen? Mir jedenfalls sind die Rechnungen auf dem Teller und im Briefkasten lästig. All diese endlosen Kontonummern und Überweisungsformulare! Muß das sein? Eine Flachrate – heißt es so auf deutsch? –, und Wasser, Strom, Miete, Medizin und Steuer würden nie wieder etwas von sich hören lassen. Vielleicht sollten auch die Bäcker und die Milchläden mitmachen, dann gäbe es Brot und Butter ohne Münzen und Kreditkarten.«

188 »Ist Ihnen aufgefallen«, fragte
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