Herrscher der Erde
Trompete, und zuletzt ›Them Graveyard Words‹, eine alte Nummer von Bessie Smith.« Sie verbeugte sich fast unmerklich.
Musik füllte den Raum, und man konnte nicht feststellen, woher sie kam. Colleen begann zu singen. Sie sang mit vollkommener Leichtigkeit, ohne jede Anstrengung. Sie benutzte ihre Stimme wie ein Instrument, ließ sie von der Musik mitreißen, wurde mit ihr leiser, streichelte die Luft mit ihr.
Eric war so wie das übrige Publikum gefesselt.
Sie beendete den ersten Song. Der Donner des Beifalls schmerzte förmlich in den Ohren. Eric fühlte Schmerz in den Händen, und als er hinuntersah, merkte er erst, wie heftig er die Handflächen gegeneinander hieb. Er hörte damit auf, schüttelte den Kopf und machte vier tiefe Atemzüge. Colleen begann die Einleitung zu einer neuen Melodie. Eric kniff die Augen zusammen und starrte auf die Bühne. Einer plötzlichen Eingebung folgend, hielt er sich die Ohren zu und verspürte Panik, als die Lautstärke nicht abnahm. Er schloß die Augen und hielt den Atem an, als er Colleen immer noch sah. Zuerst war sie verschwommen und schwankte, doch dann sah er sie deutlich aus näherer Entfernung und von der linken Seite. Die wildesten Gefühle durchströmten Eric bei diesem Anblick.
Er hielt sich die Hand vor Augen. Er sah sie immer noch. Er öffnete wieder die Augen, und das Bild verschwamm, wanderte zur Seite und wurde normal. Er suchte nach der Stelle, von wo aus Colleen so zu sehen sein mußte, wie er es gerade getan hatte. Er kam zu dem Entschluß, daß es nur aus dem Innern des Musikrons möglich wäre, und erkannte im gleichen Augenblick die Umrisse eines Spiegels auf der Vorderseite des Metallkastens.
»Ein Spiegelfenster!« dachte er. »Ich sah sie durch Petes Augen!«
Er überlegte die ganze Zeit, bis Colleen die dritte Nummer beendet hatte. Pete kam aus dem Musikron hervor, um am Applaus teilzuhaben. Colleen warf dem Publikum eine Kußhand zu.
»Wir kommen bald wieder.«
Gefolgt von Pete, stieg sie von der Bühne herab, wo sie von der Dunkelheit verschluckt wurden. Kellner zwängten sich zwischen die Tische, und Eric erhielt sein Getränk. Er zahlte. Ein blauer Schatten huschte heran und setzte sich auf den leeren Sessel neben ihn.
»Tommy hat mir gesagt, daß Sie hier sind ... der Laufbursche.« Sie beugte sich über den Tisch. »Pete darf Sie nicht sehen. Er ist fürchterlich zornig. Ich habe noch nie jemanden in solcher Wut gesehen.«
Eric beugte sich vor, und der delikate Geruch von Sandelholzparfüm wehte ihm in die Nase. »Ich möchte mit Ihnen sprechen. Können wir uns nach der Show treffen?«
»Ich glaube, ich kann Ihnen trauen.« Sie zögerte und lächelte leicht. »Sie sind der professionelle Typ, und ich benötige Ihren beruflichen Rat.« Sie stand auf. »Ich muß zurück, ehe er Verdacht schöpft. Wir treffen uns beim Lastenaufzug oben.«
Eine kalte Brise vom Wasser her zupfte an Erics Umhang und ließ ihn ab und zu flattern. Er lehnte am Betongeländer und rauchte eine Zigarette. In regelmäßigen Abständen erleuchtete die Glut ein wenig sein Gesicht. Unter ihm schlugen die Wellen leicht gegen die Mauer. Ein farbiger Lichtreflex im Wasser zu seiner Linken verschwand, als die Reklameschrift des Gweduc abgeschaltet wurde. Er schauderte leicht. Von links her erklangen Schritte, gingen hinter ihm vorbei – ein Mann, allein. Ein gedämpftes Surren erklang, wurde lauter, verstummte. Das Geräusch leichter Schritte näherte sich ihm und hörte am Geländer neben ihm auf. Er roch ihr Parfüm.
»Danke«, sagte er.
»Ich kann nicht lange bleiben. Er ist mißtrauisch. Tommy brachte mich mit dem Lastenaufzug herauf. Er wartet auf mich.«
»Ich werde mich kurz fassen. Ich habe nachgedacht. Ich werde über Ihre Reisen sprechen. Ich werde die Städte aufzählen, in denen Sie waren, seitdem Sie in Honolulu auf Pete gestoßen sind.« Er drehte sich um und lehnte sich seitlich gegen die Brüstung. »Sie probierten Ihre Show zuerst in Santa Rosa in Kalifornien. Dann kam Piquetberg, Karatschi, Reykjavik, Portland, Hollandia, Lawton und zuletzt Los Angeles. Und danach kamt ihr hierher.«
»Sie haben also unsere Route verfolgt.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein.« Er zögerte. »Pete hat Ihre Zeit mit Proben ziemlich stark in Anspruch genommen, was?«
»Es ist keine leichte Arbeit.«
»Das habe ich nicht gesagt.« Er drehte sich wieder zum Geländer und schnippte seine Zigarette ins Wasser. »Wie lange kennen Sie Pete?«
»Ein paar Monate.
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