Herrscherin des Lichts
meiner Zofen, wären mir seine Absichten vielleicht verborgen geblieben.“ Sie hielt Ayla die Tafel hin und forderte sie mit einem harschen Nicken auf, sie zu nehmen. „Da! Lies das! Lies es und dann sag mir noch einmal, dass Garret kein übles Spiel mit mir treibt!“
Der Stein war schwer, und Ayla hatte Mühe, ihn entgegenzunehmen. Es dauerte einen Moment, bis es ihr gelang, ihn gerade zu halten. Sie warf nur einen kurzen Blick auf die Inschrift,bevor sie die Tafel hilflos an Mabb zurückgab. „Ich kann nicht lesen“, gestand sie kleinlaut. Noch nie war ihr diese Tatsache so peinlich gewesen wie jetzt.
Mabb verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln. „Natürlich kannst du das nicht. Und selbst wenn, wärst du nicht in der Lage, diese Schriftzeichen zu entschlüsseln. Sie gehören zu einer uralten Sprache, einer, an die sich nur noch sehr wenige in dieser stinkenden Welt überhaupt erinnern können.“ Sie schloss die Augen und atmete tief ein, als müsse sie sich erst einmal sammeln. Als Mabb sie wieder öffnete, war ihre Haltung so souverän und majestätisch wie eh und je, trotz ihrer ruinierten Frisur und den noch immer geröteten Wangen. „Es ist eine Prophezeiung und erzählt von einer Zeit, in der die Elfen gezwungen sein werden, im Untergrund zu leben. Viele Jahrhunderte glaubte man, die Worte sagten eine Invasion der Menschen in unsere geliebte Heimat voraus, an deren Ende wir flüchten müssten. In alle Himmelsrichtungen verstreut und in geheimen Verstecken Unterschlupf suchend. Aber wie sogar du mit deiner begrenzten Intelligenz erraten kannst, bezieht sich diese Vorhersage stattdessen auf unsere heutige Gegenwart, in der wir zusammengepfercht unter den Städten der Menschen hausen und unser Dasein als Diebe und Plünderer bestreiten müssen, um nicht zu verhungern. Abgeschnitten von der Natur und Sonnenlicht, begraben, als wären wir schon tot!“
Mabbs Hände zitterten merklich, als sie die Steintafel in den Schrank zurücklegte. „Doch die Prophezeiung spricht auch von einem Befreier, jemandem, der unsere Rasse aus diesem Elend retten wird. Eine mächtige Kriegerin, eine Königin, die Anführerin eines gewaltigen Feldzuges, der die Erdoberfläche reinwaschen und endlich unser Leid beenden wird.“
Mabb, in ihren feinen Kleidern, unter denen sie von zerbrechlicher, feingliedriger Gestalt war, über und über mit kostbarem Schmuck behangen, entsprach allem anderen als dem,was sich Ayla unter einer Kriegerin vorstellte. Aber sie würde sich hüten, der Königin so etwas ins Gesicht zu sagen.
„Diese große Heldin“, fuhr Mabb fort, die Augen voller Eifer glühend, „wird hervorgegangen sein aus einer Verschmelzung beider Welten, der oberen und der darunter. Und man wird sich stets an ihren Namen erinnern, Elfen wie Menschen werden ihn in ihrem Herzen tragen, für alle Ewigkeit. Und diese Heldin werde ich sein!“
Obwohl Mabb ihr keine Frage gestellt hatte und es ihr nicht erlaubt war, unaufgefordert zu sprechen, konnte Ayla nicht länger hierzu schweigen. „Aber das ist unmöglich. Sosehr auch ich mir natürlich wünsche, dass die Lightworld eines Tages von einem Helden in eine bessere Zukunft geführt wird … Ihr seid elfisch, von reinem Blut.“
„Wagst du es etwa, dir zu erträumen, dass dieses Schicksal stattdessen deines sein könnte?“ Mabb ging auf sie zu und zog dabei das andere Messer aus ihrem Haar, als ob sie Ayla erneut angreifen wolle. „Maßt du dir an, mir zu unterstellen, ich sei nicht fähig, mein Volk zu befreien?“
Königin oder nicht, einem Gegner gegenüber durfte Ayla keine Angst zeigen. Niemals. „Es war lediglich ein Hinweis auf die Tatsache, von der Ihr selbst gesprochen habt. Auch wenn ich nicht überheblich genug bin, um mich in den Worten der Prophezeiung zu erkennen, so sagt sie doch, dass unser Retter eine Elfe mit einem menschlichen Anteil sein wird. Ihre Majestät ist vieles, jedoch ganz sicher nicht halbblütig.“
Mabb lachte, abermals spöttisch. „Du weißt so wenig. Mein Bruder ist vollständig elfisch, das ist wahr. Meine Mutter, liederliches Weibsstück, das sie war, hat ihn während eines Schäferstündchens mit einem ihrer Wächter gezeugt. Aber ihre Gelüste nahmen immer groteskere Züge an, und sie vergnügte sich bald regelmäßig mit einem männlichen Menschen, den sie hier im Palast versteckte, damit er ihr jederzeit zur Verfügung stand. Ich bin das Resultat dieser perversen Liaison.“
Diese Neuigkeit war so unglaublich, dass
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