Herrscherin des Lichts
gleichzeitig, in Mabbs Reichweite zu sein, wo sie jederzeit einer ihrer Intrigen zum Opfer fallen konnte. Die Lightworld, einst ihre Heimat, schien ihr plötzlich fremd und voller Gefahren.
Sie ging an dem Tunnel vorbei, der sie zurück zu Garrets Apartment gebracht hätte, und steuerte kurz entschlossen auf die Grenze der Lightworld zu. An den Ausgängen, die zum Streifen führten, waren mehr Wachleute als sonst postiert, offenbar alle darauf aus, den entflohenen Darkworlder als Erster zu entdecken und dingfest zu machen. Ayla entblößte ihre Tätowierung, die sie als Mitglied der Gilde auswies, und die Wachen traten zur Seite, um sie passieren zu lassen.
Jetzt wäre es nur noch ein kurzer Weg, den sie gehen müsste, und dann läge die Lightworld und alles, was damit zu tun hatte, für immer hinter ihr. Das Grenzgebiet wirkte, im Gegensatz zu dem, was sich dahinter befand, auf einmal ungewohnt freundlich auf sie. Niemand würde sie davon abhalten, einfach umzukehren und, an den für sie harmlosen Wachposten vorbei, wieder in ihr altes Leben zurückzukehren, als sei nichts geschehen. Es gäbe keine lebendigen Hindernisse, die sich ihr in den Weg stellten. Noch nicht. Aber es war eben doch etwas geschehen. So vieles hatte sich plötzlich geändert, dass sie sich von ihrem früheren Leben ebenso abgeschnitten fühlte, wie es der Untergrund von der Oberwelt war. Je weiter sie sich entfernte, desto klarer wurde ihr bewusst, dass sie nicht mehr umkehren konnte. Jeder ihrer Schritte, jede Bewegungschien ein unsichtbares und doch unauslöschliches Mal zu hinterlassen.
Sie war auf dem Streifen angekommen und atmete tief durch. Alles, was sie gekannt hatte, lag jetzt hinter ihr, und was übrig blieb, war eine Zukunft, so vage und ungewiss, dass sie noch nicht einmal ein Gefühl von Angst in Ayla auslösen konnte. Sie blickte nicht zurück. Zwei schnelle Herzschläge, ein weiterer Atemzug, und die Entscheidung war gefallen. Endgültig. Ayla trat aus dem Tunnel hinaus auf den Streifen.
15. KAPITEL
A ufgebracht stürmte Garret durch die Hallen des Palastes. Die peinlich berührten Bemerkungen hinsichtlich Aylas Erscheinung, die man sich zuflüsterte, waren schon schlimm genug gewesen. Als er dann nach Hause zurückgekommen war, um diese Gerüchte durch die Abwesenheit seiner Gefährtin bestätigt sehen zu müssen, hatte sich die Situation noch weiter zugespitzt.
Vermutlich hatte sie bereits alles gestanden. Nein, ganz sicher sogar. Aylas Idealismus war von jeher ihr größtes und zudem am wenigsten zu kontrollierendes Manko gewesen. Inzwischen würde Mabb die Wahrheit kennen und wissen, dass ausgerechnet seine ehemalige Schülerin die Gäis gebrochen hatte. Sein Leben war ruiniert. Ayla hatte ihn ins Unglück gestürzt.
Eigentlich erwartete er, dass Mabb sich aufgrund der frohen Botschaft irgendwo in ihre Privatgemächer zurückgezogen haben würde, um dort gemütlich seinen Untergang zu feiern. Stattdessen fand er sie im Kreise ihrer speichelleckerischen Höflinge vor, munter schwatzend und lachend, regelrecht aufgedreht, als stünde sie unter dem Einfluss eines zu starken Glückstrankes.
„Garret!“ Sie lief freudestrahlend auf ihn zu, so schnell es ihre schweren Gewänder erlaubten. In ihren Augen blitzte der Wahnsinn. „Ich hatte ja so sehr gehofft, dich heute noch zu sehen!“
Er musterte argwöhnisch die Gesichter ihrer Gesellschafter, doch in ihren unbeteiligten, maskenhaften Mienen konnte er keinen Hinweis darauf entdecken, was in aller Welt hier gespielt wurde. Wahrscheinlich hatten sie die Veränderung im Gebaren ihrer Königin nicht einmal bemerkt. Sie sahen nichts weiter als ihr funkelndes Äußeres und die Dinge, mit denen sie ihnen das Leben versüßte. Rauschende Feste, Bankette, kleine Gefallen,wenn sie ihren Nachbarn eins auswischen oder vor irgendjemandem mit ihrem guten Verhältnis zur Königin prahlen wollten.
Wenn er erst auf dem Thron saß – wenn Ayla auf dem Thron saß –, würde sich so einiges ändern. Mabbs verhätschelte Lieblinge fänden sich sehr bald in weit weniger komfortablen Umständen wieder, und die von Grund auf novellierte Gesellschaft würde ihre Monarchen vergöttern, wie es sich für Untergebene gehörte.
Im Augenblick aber war seine Schwester noch die Machthaberin, und er verbeugte sich respektvoll vor ihr. „Schwester, hast du zufällig meine Gefährtin heute Abend schon gesehen?“
Mabbs Stimmungswechsel kam schlagartig. Sie wandte sich abrupt von ihm ab, ihre
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