Herrscherin des Lichts
das Ziel nicht real war.
Mit einem letzten, knisternden Atemzug, der klang wie durch gefrorene Zweige fahrender Wind, fiel sie rückwärts, ihr Körper rollte sich zusammen und wurde dunkel, eine leere Hülle in ihren feinen Gewändern.
Es war getan, in einem winzigen Augenblick, der ihr nicht einmal Zeit gelassen hatte, nach ihren Wachen zu schreien. Es war getan, und es gab keine Möglichkeit mehr, es ungeschehen zu machen.
Weit beunruhigender als das jedoch war Aylas Verschwinden. Vielleicht hatte sie sich zu ihrem Darkworld-Liebhaber geflüchtet, um ihrem Schicksal zu entgehen. Bei diesem Gedanken ballte er die Fäuste und marschierte wild entschlossen aus Mabbs Schlafgemach. Eher würde er Ayla auch umbringen, als zuzulassen, dass sie sich dieser Kreatur an den Hals warf.
Er sammelte sich kurz und setzte einen neutralen Gesichtsausdruck auf, bevor er die weniger abgeschotteten Vorräume des königlichen Privatdomizils betrat, und nickte einer gerade vorbeigehenden Zofe zu. „Ihre Majestät wünscht, für den Rest des Abends nicht mehr gestört zu werden.“
Die Dienerin blieb stehen, beugte ihren hübschen Kopf mit den langen dunklen Haaren nach unten und setzte dann ihren Weg fort. Sie wusste nicht, dass sie dem Gefährten der neuen Königin gegenübergestanden hatte, dem zukünftigen Herrscher über das Elfenreich. Er würde die Herrschaft übernehmen, sobald das letzte Hindernis beseitigt wäre, das noch zwischen ihm und der endgültigen Machtübernahme stand. Jetzt, wo sie davongelaufen war, eventuell sogar bis über die Grenzen der Lightworld hinaus, erleichterte das die Sache ungemein.
Er hatte geplant, durch Ayla zu regieren, sie als seine Marionette zu gebrauchen. Sie verfügte weder über das Wissen noch die Fähigkeiten, ein Volk anzuführen. Doch nun war es so viel einfacher, den Thron an sich zu reißen. Er brauchte keine Königin an seiner Seite, die für ihn seine Anordnungen in die Tat umsetzte. Er könnte mit der Tradition brechen und selbst regieren, an ihrer Stelle.
Die Drachen würden ihm vermutlich zunächst Schwierigkeiten machen. Diese Monster waren schlauer, als gut für sie war. Er musste so schnell wie möglich die Information in Umlauf bringen, dass der Darkworlder, der sich über die Grenze geschlichen hatte, als Bote der Drachen verkleidet gewesen war. Praktischerweise war er ja sogar im Besitz des Umhangs, um diese Tatsache zu beweisen. Das würde sie erst einmal beschäftigen, und so lange sie in ihren Reihen nach Verrätern fahndeten,hielten sie sich mit empörten Anschuldigungen zurück, mit etwas Glück zumindest, bis seine Krönung vollzogen und unanfechtbar war.
Als er die Palasttore erreichte, musste er feststellen, dass es ihm widerstrebte, seinen neuen Wirkungskreis zu verlassen. Welch seltsame, vereinnahmende Empfindungen die Aussicht, bald König zu sein, in ihm auslöste. Eine erregte Erwartung durchströmte ihn, als er über die Schwelle und hinaus auf die Straßen der Lightworld trat. Er kämpfte das Gefühl nieder.
Der Thron wartete auf ihn. Alles, was er noch tun musste, war, seinen Anspruch darauf geltend zu machen.
Links. Noch einmal links. Dann rechts. Eine scharfe Abbiegung entlang.
Ein Mann mit Flügeln. Ich sehe einen Mann mit Flügeln .
Ayla schüttelte den Kopf und schlug nach der stickigen Luft vor sich. Sie stolperte, wie es ihr vorkam zum tausendsten Mal, über den Saum ihres Kleides, rutschte aus und landete auf Händen und Knien im Matsch.
Er wird dein Untergang sein .
Sie schob die Warnung der Menschenfrau beiseite und rappelte sich wieder auf die Füße. Dabei löste sich ein kurzer Aufschrei aus ihrer Kehle, der ebenso sehr von den Schmerzen in ihren geschundenen Beinen herrührte wie von dem tiefen Loch in ihrer Brust, das sich so wirklich anfühlte, als hätte ihr jemand mit einem Messer das Herz herausgeschnitten.
Ein Messer. Sie hatte kein Messer. Überhaupt keine Waffe. Nichts, um sich zu verteidigen. Wie leicht könnte sie hier sterben, in der Darkworld, ohne dass jemand von ihrem Tod erfuhr oder sich dafür interessierte.
Und wessen Schuld war das? Ihr gesamtes bisheriges Leben lang hatte sie alles in ihrer Macht Stehende getan, zwischen sich und der Welt eine unsichtbare Mauer aufrechtzuerhalten. Jene, die sie hatten beschützen wollen – Garret und ihr Vater –,hatte sie zurückgewiesen. Die, mit denen sie hätte befreundet sein können, nicht an sich herangelassen. Niemals hatte es einen Geliebten oder zumindest einen
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