Herz aus Eis
ansteigende Bergstraße empor. „Ich lebe gern dort oben in dem Kloster, aber manchmal ist es einfach nett, irgendwo anders hinzugehen, wo es nicht so isoliert ist, und ein gutes Essen zu genießen.“
Sie wandte ihm das Gesicht zu, doch auf der Bergstraße gab es keine Laternen, und so konnte sie sein Gesicht nicht erkennen. „Also fühlen Sie sich doch isoliert, so weit weg von anderen Menschen?“
Er zuckte mit den Schultern. „Ich bin Grieche“, lautete seine Antwort.
Diese knappen Worte sagten mehr als jede lange Erklärung. In Griechenland wurde die Familie großgeschrieben, jede Generation trug ihren eigenen Beitrag dazu bei. Im Alter lebte niemand allein, und Vermögen wurde nicht angehäuft, sondern miteinander geteilt. Ein griechischer Vater würde seine Tochter bei ihrer Hochzeit mit der größten Mitgift ausstatten, die er sich leisten konnte, und ein griechischer Sohn würde sich immer um seine Eltern kümmern. Es war eine Frage der Ehre, des Respekts und der tiefen Verbundenheit untereinander.
„Und genau deshalb will Cosima ja, dass Sie nach Athen zurückkehren“, erwiderte Elizabeth sanft. „Dort haben Sie Ihre parea , Ihren Freundeskreis.“ Für einen Griechen waren die Freunde fast so wichtig wie die Familie, das wusste sie.
Kristian schwieg lange, bevor er etwas erwiderte: „Meine parea existiert nicht mehr.“
„Aber …“
„Elizabeth“, unterbrach er sie sofort. „Sie sind alle tot, gestorben zusammen mit meinem Bruder in Frankreich. Die, die unter dem Schnee erstickten, waren meine Freunde. Sie waren Freunde und Kollegen.“
Gepeinigt schloss sie die Augen. Warum nur hatte sie ihn so gedrängt? Warum hatte sie unbedingt alles wissen wollen? Wie hatte sie so anmaßend sein und sich einbilden können, sie könnte ihn trösten oder ihm raten? „Es tut mir leid“, sagte sie leise.
„Sie wussten es nicht.“
„Aber ich dachte … Cosima sagte …“
„Cosima?“, bitter wiederholte Kristian den Namen. „Sie werden bald merken, dass Sie lange nicht alles glauben können, was Cosima von sich gibt.“
„Sie meint es nur gut.“
Schweigen breitete sich im Wagen aus, und Elizabeth wurde klar, dass sie das Falsche gesagt hatte. Sie fühlte sich immer unwohler.
„Vielleicht sollte ich Ihnen etwas über den heutigen Abend erzählen.“ Kristian holte tief Luft und reckte die Schultern. „Unser Ziel ist ein kleines Städtchen, unberührt von der Zeit oder dem Tourismus. Am Rande des Städtchens liegt mein Lieblingsrestaurant, geplant von einem griechischen Architekten und seiner Frau, einer hiesigen Künstlerin. Das Essen ist einfach, aber ausgesprochen gut, und der Ausblick ist phänomenal.“
„Sie könnten überall zum Dinner gehen, aber Sie wählen ein abgelegenes rustikales Lokal?“
„Ich ziehe einfach die Ruhe vor. Pomp und Glanz interessierenmich nicht.“
„Schon immer oder …?“
„Nein, es ist nicht erst seit meinem Unfall so. Andreas war der Extrovertierte von uns, er zeigte sich gern auf Partys und in der Gesellschaft. Natürlich habe ich ihn begleitet, er war mein Bruder und mein bester Freund. Aber ich war damit zufrieden, ihm das Rampenlicht zu überlassen. Ich habe diese Welt lieber von einer stillen Ecke aus beobachtet.“
Während er sprach, trat der Mond hinter einer Wolke hervor. Jetzt konnte Elizabeth Kristians Gesicht ausmachen, seine markanten Züge, den sinnlichen Mund … Wie es wohl sein mochte, diesen wunderbaren Mund auf ihren Lippen zu fühlen?
Ihr Magen zog sich zusammen, nicht aus Angst, sondern aus Verlangen. Sie fühlte sich so sehr von ihm angezogen. Es fiel ihr immer schwerer, diese Gefühle vor ihm zu verbergen.
Doch das musste sie. Und sie musste auch von ihm abrücken, für Abstand zwischen ihnen sorgen. Denn solange sie so dicht neben ihm saß, solange sich ihre Knie, ihre Ellbogen, ihre Schenkel immer wieder unabsichtlich berührten, so lange würde sie auch diese innere Unruhe nicht unter Kontrolle bringen können. Sie sah auf seine Hand und dachte an den Stromstoß, der sie durchzuckt hatte, als Kristian ihr Knie streifte. Dachte an die Bilder, die ihr sofort in den Kopf geschossen waren, wie er sie streicheln würde, sie in Flammen setzen würde … seine Hand auf ihrer Haut …
Sie schluckte und setzte sich anders hin, rutschte zur Seite, schlug die Beine übereinander. Das war ja lächerlich. Sie musste sich zusammennehmen, musste sich unbedingt beruhigen!
„Sie sind rastlos.“ Kristian lauschte mit geneigtem
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