Herz aus Feuer
einem Draht. Er wollte sie nicht offen stehen lassen, damit jeder, der hier vorbeikam, sich mit Dynamit versorgen konnte. Wer nach ihm den Schuppen betreten wollte, würde große Mühe haben, den Draht von der Tür zu entfernen.
»Nichts wie fort«, sagte Lee dann, und Blair kletterte hinter ihm wieder den Steilhang hinauf. An manchen Stellen war der Boden direkt vor ihrem Gesicht, so daß sie sich mit den Händen einkrallen mußte, um nicht abzustürzen.
Lee erwartete sie schon oben auf dem Grat, gab ihr aber keine Zeit zum Verschnaufen, sondern eilte mit langen Schritten vor ihr her zur Berghütte. »Ich werde mein Pferd satteln und es vor der Hütte anpflocken. Ich habe mir gedacht, daß du Hunger bekommst, aufstehst und dir im vorderen Raum etwas zu essen besorgst. Dabei vergißt du, das Messer aufzuräumen, und läßt es irgendwo in ihrer Nähe liegen. Ich werde draußen warten und ihr folgen, wenn sie in ihr Räubernest im Canyon zurückkehrt.«
»Wir!« war alles, was Blair zu ihm sagte; doch die Art, wie sie ihn dabei ansah, zwang ihn, nach einem schweren Seufzer zu sagen:
»Also gut; aber steig jetzt durchs Fenster und warte drinnen auf mich.«
»Ich muß aber erst eine sehr persönliche Angelegenheit erledigen — in den Büschen«, gab sie zurück und wußte nicht, ob sie ihrer Worte wegen errötete oder weil es eine Lüge war.
Lee drehte ihr den Rücken zu und begann, sein Pferd zu satteln. Blair rannte inzwischen den Hügel hinauf zu der Höhle, wo die Bären ihre Wohnung haben mußten. Vorsichtig näherte sie sich dem Eingang der Höhle und lauschte, ob sich dort im Dunklen etwas regte. Sie wagte kaum zu atmen vor Angst, als sie einen Stein aufhob und ihn gegen den verkorkten Verschluß eines der Fäßchen mit Honig schmetterte, das sie aus ihrem Rucksack holte. Dann horchte sie wieder, ob sich ein Geräusch vernehmen ließ. Nichts.
Das Fäßchen mit der Öffnung nach unten haltend, so daß der Honig auf den Boden rann, ging sie wieder hangabwärts auf die Hütte zu und zog dabei eine breite Spur von Honig hinter sich her.
Lees Pferd stand bereits gesattelt vor der Hütte, und Blair gelang es, geräuschlos den Korken aus einem anderen Fäßchen Honig zu entfernen, bevor sie es hinten an der Sattelpausche festband. Einen Moment lang war sie verunsichert, ob es richtig war, was sie da machte; denn wenn Françoise zu lange brauchte, um sich von ihren Fesseln zu befreien und die Bären den Honig schon vorher witterten, mochten sie über das Pferd herfallen, ehe ein Reiter darauf saß. Es kam jetzt alles auf die richtige Zeiteinteilung an.
Sie kletterte durch das Fenster in die Hütte zurück und konnte selbst im Dunkeln die unwilligen Blicke sehen, die Lee ihr zuwarf, weil sie so lange für ihr »privates Geschäft« gebraucht hatte. So rasch sie konnte, schlüpfte sie aus ihrer Ärzteuniform. Es sollte so aussehen, als käme sie direkt aus dem Bett.
Françoise lag auf dem Boden, und Blair sah die blutigen Striemen an ihren Gelenken, wo sie versucht hatte, ihre Fesseln zu sprengen. Blair wollte sich bei diesem Anblick der Magen umdrehen. Sie hatte geschworen, die Leiden ihrer Mitmenschen zu lindern; und sie haßte es, daß andere ihretwegen Schmerzen ertragen mußten.
Françoise öffnete die Augen, als Blair an ihr vorbeikam.
»Ich habe mich noch nicht von der Hungerkur bei dir erholt«, sagte Blair, während sie einen Käselaib an den Tischrand schob und eine Scheibe davon abschnitt. »Es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis der Sheriff dich hier abholt.«
»Wenn er das täte, wäre er inzwischen längst hier. Der Mann, der mit Leander zum Canyon kam, ist meinen Leuten in die Arme gelaufen und von ihnen getötet worden.«
»Das wäre aber sehr schade für dich«, sagte Blair leichthin. »Denn der Mann war Taggert, von dem du das Lösegeld für mich erpressen wolltest.«
Mit einem lauten Gähnen legte Blair das Messer auf den Tisch zurück und nahm die Scheibe Käse auf, die sie abgeschnitten hatte. »Ich lege mich wieder in mein Bett. Schlaf gut«, sagte Blair und ging lachend hinüber in den anderen Raum.
Sobald die andere Frau sie nicht mehr sehen konnte, blieb sie hinter der Tür stehen und begann, sich ganz leise wieder anzuziehen, wobei sie den Schatten von Françoise beobachtete, den der Mond auf die schmutzigen Dielen warf. Er zeigte ihr, daß Françoise keine Zeit verlor, sich das Messer vom Tisch zu angeln und damit ihre Fesseln durchzuschneiden. In wenigen Sekunden war sie aus
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