Herz aus Feuer
und gibst Befehle.«
Die verschiedenartigsten Empfindungen spiegelten sich auf Lees Gesicht. »Wer ist Alan?«
»Mein Verlobter. Der Mann, den ich liebe. Der Mann, der in zwei Tagen in Chandler eintreffen wird, um meine Familie kennenzulernen und um meine Hand anzuhalten.«
»Ich habe gerade um deine Hand angehalten!«
»Weil du einen Abend mit mir verbracht hast? Das genügte natürlich, um dich in mich zu verlieben.« Sie blickte überrascht hoch, weil er das nicht abstreiten wollte.
Er stand am Schreibtisch und spielte mit einem Brieföffner.
»Was ist, wenn ich in dir das Verlangen weckte, mich zu heiraten? Wenn du es bist, die in zwei Wochen wünscht, mit mir getraut zu werden?«
»Dieser Fall wird nie eintreten. Alan wird bald hier sein, und wir wissen beide, daß du zu Houston gehörst.«
»Ist das wirklich so?« sagte er, und mit zwei Schritten war er bei ihr und hielt sie in seinen Armen.
Sein Kuß war genauso erregend wie am Abend zuvor, als sie ihre Schwester vertreten hatte. Sie fühlte sich ganz schwach, als er sie wieder losließ.
»Und du behauptest, ich hätte keine Chancen?« murmelte er. »Ist dir schon der Gedanke gekommen, daß dieser Alan dich nicht mehr haben will, wenn er erfährt, warum dein Name auf der Einladungskarte zu unserer Hochzeit steht?«
»Er ist nicht so. Er ist ein sehr verständnisvoller Mann.«
»Wir werden sehen, wie verständnisvoll er ist. Und du wirst mich in vierzehn Tagen heiraten und solltest dich rechtzeitig an diesen Gedanken gewöhnen.«
Blair bemühte sich, gelassen zu erscheinen, als sie mit Mr. Gates wieder nach Hause fuhr. Aber als sie dort Houstons Gesicht erblickte, das einen Ausdruck trug, als hätte das Leben jeden Sinn für sie verloren, war es mit ihrer Fassung vorbei. So groß war ihre Sorge um die Zukunft ihrer Schwester gewesen, daß sie das Wesen Leanders hatte ergründen wollen, um sich ein Bild davon zu machen, ob Houston mit ihm glücklich werden konnte — und nun hatte sie deren Leben zerstört.
Sie wollte sich mit ihrer Schwester aussprechen, ihr alles erklären; doch Houston weigerte sich, mit ihr zu reden. Da half alles Weinen nichts. Sie wollte Blair nicht anhören.
Mr. Gates stieß Blair die Treppe hinauf und sperrte sie in ihr Zimmer im dritten Stock ein. Und als Opal mit ihrer Tochter reden wollte, weigerte sich Mr. Gates, ihr den Schlüssel herauszugeben.
Blair saß lange im dunklen Zimmer — mit viel zu trockenen Augen; denn die Tränen waren seit gestern nacht ohne Unterlaß geflossen. Sie mußte sich etwas ausdenken, wie sie sich aus ihrem Dilemma befreien konnte. Sie wollte sich weder dazu zwingen lassen, in dieser Stadt zu bleiben und einen Mann zu heiraten, den sie gar nicht heiraten wollte, noch auf ihren Posten im St.-Joseph-Hospital verzichten.
Sie saß regungslos auf ihrem Stuhl, bis sie keine Geräusche im Haus mehr hörte, und trat dann ans Fenster. Als Kind war es ihr oft gelungen, sich mit Hilfe der alten Ulme, die an der Ostseite des Hauses wuchs, einem Stubenarrest zu entziehen, indem sie an deren langen gewundenen Ästen in den Garten hinunterkletterte. Wenn sie mit einem Sprung den größten Ast unter ihrem Fenster erreichen konnte, mußte es ihr auch diesmal gelingen. Wenn sie ihn jedoch verfehlte ... sie mochte diesen Gedanken nicht zu Ende denken.
Rasch suchte sie ein paar Kleider zusammen, stopfte sie in eine weiche Tasche, warf diese in den Garten hinunter und wartete ein paar Sekunden, ob jemand im Haus Alarm schlug. Niemand schien den Aufprall gehört zu haben. Sie schlüpfte in einen Hosenrock, kletterte auf den Fenstersims, hielt sich mit einer Hand am Rahmen fest und bemühte sich mit der anderen, den Ast unter dem Fenster zu erreichen. Vergeblich. Ihr Arm reichte nur bis zu ein paar dünnen Zweigspitzen. Sie gab ihre Bemühung auf, sah ihre Vermutung bestätigt, daß sie springen mußte, wenn sie zu dem Ast gelangen wollte. Sie ging in die Hocke, machte einen gewaltigen Satz und schlug die Arme um den Ast, als die Zweige ihren Fall bremsten.
Sie hing wie ein Pendel daran und hörte, wie das Holz leise ächzte unter ihrem Gewicht. Nach einigen erfolglosen Versuchen gelang es ihr endlich, die Beine über den Ast zu schwingen, ehe ihr die Arme zu erlahmen drohten. Dann nahm sie ihre ganze Kraft zusammen, und mit dem Kopf nach unten hängend, hantelte sie sich den Ast entlang auf den Stamm zu, während die scharfe Rinde ihr in die Handgelenke schnitt und die Zweige durch ihre Kleider stachen. Als
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