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Herz aus Glas (German Edition)

Herz aus Glas (German Edition)

Titel: Herz aus Glas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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unfreiwillige Betthaft, aber er zuckte nur die Achseln. Vermutlich war er der Letzte in diesem Haus, der es geschafft hätte, sich gegen Taylors patente Unnachgiebigkeit durchzusetzen.
    Nachdenklich sah er mich an. Hinter seiner Brille waren seine Augen riesengroß. Er erinnerte mich ein wenig an den Waschbären, den wir in unserem Hinterhof in Boston hatten. Wenn man das Fenster aufmachte und ihn anschrie, während er die Mülltonnen durchwühlte, schaute er genauso verschreckt. »Wegen gestern Nacht …« Er zögerte. »Was war los?«, stieß er dann hervor.
    Sonderbarerweise musste ich nicht lange überlegen, was ich ihm erzählen sollte. Plötzlich kam ich mir wieder vor wie das kleine Mädchen, das er auf den Schoß genommen hatte, wenn es sich das Knie blutig geschlagen hatte. Ich holte tief Luft. Und erzählte ihm alles.
    Von Anfang an.
    Inklusive Geist und Fluch und Liebeskummer und beginnendem Wahnsinn. Nachdem ich einmal begonnen hatte, sprudelten die Worte nur so aus mir hervor und mit jedem einzelnen fühlte ich mich ein wenig leichter.
    Er unterbrach mich nicht ein einziges Mal.
    »Na ja«, endete ich. »Und das gestern Nacht war der Höhepunkt. Ich habe keine Ahnung, wie ich auf die Klippe gekommen bin. Es war genauso wie neulich auf dem Balkon.« Ich verstummte, wartete, dass er etwas sagte. Als nichts kam, knurrte ich: »Aber wehe, du machst da irgendwann eines von deinen kitschigen Büchern draus!«
    Entsetzt schüttelte er den Kopf. Natürlich hatte er wieder einmal nicht begriffen, dass ich Scherze machte, aber das war nach all dem, was er eben erfahren hatte, vermutlich auch zu viel verlangt. »Warum hast du mir das nicht schon viel früher erzählt?«, fragte er.
    Ich überlegte, ob ich ihn darauf hinweisen sollte, dass ich das versucht hatte – an dem Tag, als mein Herz sich zum ersten Mal in Glas verwandelt hatte. Aber dann wurde mir klar, dass es ungerecht gewesen wäre. An jenem Tag war die ganze Sache ja noch nicht so eskaliert. Und als das dann der Fall gewesen war, hatte ich mich tatsächlich nicht mehr an ihn gewandt, da hatte er recht.
    Ich senkte den Blick auf meine Hände. Meine Fingernägel waren sehr weiß und ich musste an die von David denken, als er am Schwimmbeckenrand gehangen und sich mit mir unterhalten hatte. »Tut mir leid«, behauptete ich. »Ich dachte, ich komme allein damit klar.«
    Er lächelte schwach. Ganz viele feine Fältchen bildeten sich rund um seine Augen und er nahm die Brille ab, um sie zu putzen.
    »Was glaubst du, was mit mir los ist?«, erkundigte ich mich. »Ich meine, wir sind uns doch einig, dass es keine Geister und Flüche gibt, oder?«
    Ich war mir noch immer sicher, dass es so war, auch wenn die Erlebnisse auf den Klippen diese Überzeugung ganz schön ins Wanken gebracht hatten.
    Dad steckte sein Taschentuch wieder weg, setzte die Brille auf und schob sie bis zur Nasenwurzel hoch. Das Licht der Kerzen spiegelte sich in den Gläsern, sodass ich den Ausdruck in seinen Augen nicht erkennen konnte. »Ich habe keine Ahnung, Juli«, gestand er.
    »Taylor hat neulich mal was von Massenpsychosen gesagt. Vielleicht liegt es an dieser sonderbaren Stimmung hier in diesem Haus, dass so viele Frauen glauben, Madeleines Geist ist hinter ihnen her.«
    »Sonderbare Stimmung?«
    Ich verdrehte die Augen. »Schon klar!«, murmelte ich. »Du spürst keinen eisigen Luftzug am Fuße der Freitreppe und du hörst auch nachts keine Frauenstimmen wispern.«
    »Luftzug? Frauenstimmen? Nein.« Er sah mich mit neu erwachter Beunruhigung an und ich fragte mich, was von meinem Bericht er überhaupt kapiert hatte. Sowohl von dem Luftzug in der Halle als auch von den Frauenstimmen hatte ich ihm eben in aller Ausführlichkeit erzählt.
    Ich unterdrückte ein Seufzen. »Du bist ja auch keine Frau«, machte ich einen Scherz. »Obwohl deine Bücher so klingen, als wärest du eine.« David war allerdings auch keine Frau, schoss es mir durch den Kopf. Und ich wusste, dass er zumindest einmal die wispernde Stimme auch gehört hatte – in der Nacht, in der er draußen auf der Bank gesessen und Charlies Brief gelesen hatte. Ich rief mir ins Gedächtnis, wie er mich angesehen hatte, als ich ihm von dem Frösteln erzählt hatte, das mich so oft in der Halle überkam. Wenn ich jetzt darüber nachdachte, dann hatte er gewirkt, als würde er dieses Frösteln kennen. Ich beschloss, ihn bei Gelegenheit danach zu fragen.
    »Hallo! Redest du noch mit mir?« Dad wedelte mir vor der Nase herum und

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