Herz aus Glas (German Edition)
Panik mit. »Ihr solltet euch beide beruhigen!«
»Geh mir aus dem Weg!«, hörte ich Jason unvermittelt brüllen. »Das hört hier und jetzt auf!«
»Jason, nicht!«, rief Taylor entsetzt, aber sie schien sich kein Gehör verschaffen zu können.
»Nein!«, gellte Davids Stimme. Ein Geräusch ertönte, als würde Holz splittern.
»Dad!« Davids Stimme war zornig und angstvoll zugleich.
Es wurde totenstill in dem Zimmer. Dann krachte es erneut. Diesmal barsten Klaviersaiten mit einem Kreischen.
Ich überwand meine Starre und machte einen Schritt in Davids Zimmer, sodass ich überblicken konnte, was geschehen war.
Jason stand schwer atmend mitten im Raum. Die Axt in seiner Hand war hoch erhoben. Das Gesicht hatte er zu einer Fratze verzerrt und ich fürchtete, er würde gleich einen Herzinfarkt bekommen. Ich stellte mir vor, wie er das scharf geschliffene Werkzeug aus irgendeinem Schuppen geholt hatte und mit ihm hierherauf in das Zimmer seines Sohnes gekommen war. Hatten in diesem Haus eigentlich alle einen Knall? Das Klavier, auf dem David gespielt hatte, war in der Mitte geborsten. Zwei weiße Tasten lagen auf dem Teppich und erinnerten mich fatal an ausgeschlagene Zähne.
»Das hättest du nicht tun dürfen«, flüsterte David.
Mehrere Minuten lang war es sehr still. Ich kam mir vor wie eine Spannerin, aber ich war auch nicht in der Lage, mich einfach davonzuschleichen. Alles, was ich hörte, war Jasons Keuchen. »Gib. Mir. Den. Brief!« Er rang um jedes einzelne Wort. Die Axt in seiner Hand war zu Boden gerichtet, aber sie bewegte sich bei seinem schweren Atem wie ein schreckliches Pendel hin und her. Ich konnte den Blick nicht von der scharf geschliffenen Schneide lassen. Ein Stück Klavierholz hatte sich daran festgekeilt. Es war eine der schwarzen Tasten.
»Nein!« David hielt dem flammenden Blick seines Vaters stand.
»Ich sagte: Gib mir den Brief!« Jetzt brüllte Jason. Seine Worte hallten durch das gesamte Haus und er hob die Axt ein wenig an.
David blickte das Ding an. »Nein!«, sagte er nur. Seine Lippen waren sehr bleich.
Jason erstarrte. Für ein paar lange Sekunden glotzte er nur. Mein Blick flog zu Taylor, die dastand und die Augen weit aufgerissen hatte. Dann, endlich, senkte Jason die Axt endgültig.
Es sah aus wie eine Kapitulation. »Du spielst ständig dieses Stück, weil sie es gemocht hat«, presste er hervor. »Du liest Bücher, die sie dir geschenkt hat, läufst herum wie ein Zombie. Das muss endlich ein Ende haben!« In seiner Stimme schwang Entsetzen mit.
Ich bemerkte, dass ich eiskalte Hände bekommen hatte. Seit meiner Ankunft auf Sorrow hatte ich schon viel gefroren, aber mir war noch zu keiner Sekunde so kalt gewesen wie in diesem Augenblick. Die Axt rutschte aus Jasons Händen. Mit einem dumpfen Poltern landete sie auf dem Teppich.
Taylor hechtete nach vorn und brachte sie an sich.
Wieder erfüllte Stille den Raum. Der Wind rüttelte an den Läden vor dem Fenster.
»Ich weiß, wie sehr du sie geliebt hast«, flüsterte Jason endlich. Sein Gesicht war grau und er sah um Jahre gealtert aus. »Aber sie ist tot, David. Tot! Hast du mich gehört? Sie ist tot!« Bevor er es noch ein weiteres Mal sagen konnte, fiel Taylor ihm mit strenger Stimme ins Wort.
»Es ist genug jetzt!«
Jason stieß einen Laut aus, der wie ein verzweifeltes Keuchen klang, dann warf er sich herum und stürzte aus dem Zimmer. Ich konnte ihn auf der Treppe hören, dann unten in der Halle. Die Haustür wurde aufgerissen, gleich darauf fiel sie ins Schloss. Zurück blieben das Geräusch des Windes und das Ticken der Standuhr.
Taylor packte die Axt etwas fester und verbarg sie hinter ihrem Rücken. »Er macht sich doch nur Sorgen um dich«, sagte sie leise. Ihre Augen schimmerten hell.
»Du hast keine Ahnung!« David stand vor den Trümmern seines Klaviers und starrte darauf. Dann wandte er sich ab, ging zu seiner Balkontür, öffnete sie und trat hinaus. Ich fragte mich, warum Taylor in diesem Moment keine Angst hatte, dass er sprang. Direkt unter seinem Fenster befanden sich die Marmorfliesen einer Terrasse.
Er sah so aus, als überlege er es sich.
Ängstlich räusperte ich mich. Taylor warf mir einen überraschten Blick zu, der mir zeigte, dass sie mich erst in diesem Moment registrierte. Sie schien erleichtert, dass ich da war. Mit einer stummen Geste bedeutete sie mir, zu David zu gehen.
Ich zögerte, aber dann durchquerte ich das Zimmer und trat neben ihn auf den Balkon hinaus. Der Wind
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